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DIE AUGENHEILKUNDE
DES
IBN SINA
AUS DEM ARABISCHEN ÜBERSETZT UND ERLÄUTERT
VON
J. HIRSCHBERG UND J. LIPPERT
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LEIPZIG |
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VERLAG VON VEIT & COMP. |
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1902 |
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Druck von Metzger & Wittig in Leipzig.
HERRN KARL EDUARD SACHAU
ZUGEEIGNET VON DEN VERFASSERN
Inhalt
Seite Einleitung 1
Kanon, Buch III, Fan1 III, Tractatl. Vorbemerkungen über das Auge und über Augen-Entzündung.
Kap. I.2 Anatomie des Auges 11
Kap. 2. Ueber die Diagnose der Zustände und Temperamente des
Auges u. allgemeine Besprechung seiner Krankheiten . . 17
Kap. 3. Ueber die Zeichen der Augenkrankheiten 20
Kap. 4. Allgemeine Grundregeln über Heilung von Augen-Erkran- kungen 21
Kap. 5. Ueber die Erhaltung der Gesundheit des Auges und über
das, was ihm schadet 24
Kap. 6. Ueber die Augen-Entzündung und Reizung 27
Kap. 7. Von den Symptomen der Augen-Entzündung 32
Kap. 8. Behandlung der Augenreizung 35
Kap. 9. Ueber die allgemeine Behandlung aller Arten von Augen- Entzündungen und von Flüssigkeits-Erguss in das Auge . 37 Kap. 10. Ueber die Behandlung der galligen und blutigen Augen- Entzündung und des Erysipels 47
Kap. 11. Ueber die Behandlung der kalten Augen- Entzündung . . 50
Kap. 12. Ueber die Behandlung der Chemosis 51
Kap. 13. Von der Behandlung der windigen Augen-Entzündung . 52 Kap. 14. Kurze Angabe der bei Augen-Entzündung gebräuchlichen
Heilmittel 53
Tractat IL Von den übrigen Erkrankungen des Auges, hauptsächlich von denen der Zusammensetzung und des Zusammenhangs.
Kap. 1. Von den Bläschen (Pusteln) 55
Kap. 2. Von ihrer Behandlung 56
1 Fan = Abschnitt.
2 Die Abtheilung der Kapitel findet sich im arabischen Text, die Numerirung nur in der lateinischen Uebersetzung.
Vi Inhalt.
Seite
Kap. 3. Ueber Geschwüre des Auges und über Zerreissung der
Hornhaut 57
Kap. 4. Von den Zeichen . 59
Kap. 5. Von der Heilung der Geschwüre 59
Kap. 6. Von den Zerreissungen der Hornhaut 61
Kap. 7. Von den Behandlungen 63
Kap. 8. Von den Pusteln im Auge 65
Kap. 9. Von den Behandlungen 66
Kap. 10. Von dem Eiter unter der Hornhaut 66
Kap. 11. Von den Behandlungen 66
Kap. 12. Ueber den Krebs im Auge 67
Kap. 13. Von den Behandlungen 68
Kap. 14. Von der Fistel und der Entzündung im Augenwinkel . . 68
Kap. 15. Von den Behandlungen 70
Kap. 16. Ueber Vergrösserung u. Verkleinerung der Thränen-
wärzchen 74
Kap. 17. Von dem Weissfleck des Auges 75
Kap. 18. Behandlungen 75
Kap. 19. Vom Hornhautfell (Sebel, Pannus) 78
Kap. 20. Von den Merkmalen 79
Kap. 21. Behandlungen 79
Kap. 22. Das Flügelfell 81
Kap. 23. Behandlungen 82
Kap. 24. Der Blutfleck (Hyposphagma) 84
Kap. 25. Behandlungen 85
Kap. 26. Vom Thränen 86
Kap. 27. Behandlungen 88
Kap. 28. Vom Schielen 89
Kap. 29. Behandlungen 90
Kap. 30. Von der Glotzäugigkeit 91
Kap. 31. Von den Zeichen 92
Kap. 32. Behandlungen 93
Kap. 33. Ueber das Einsinken und die Verkleinerung des Augapfels 94
Kap. 34. Von der Bläue <des Auges> 95
Kap. 35. Behandlung 99
Tractat III.
Von den Erkrankungen des Lids und ihren Begleit- Erscheinungen.
Kap. 1. Von den Läusen in den Lidern 100
Kap. 2. Behandlung 100
Kap. 3. Ueber Lidrand-Entzündung 101
Kap. 4. Behandlung 101
Inhalt. Yll
Seite Kap. 5. Ueber die Härte der Augenlider ^und Trockenheit der- selben) 102
Kap. 6. Behandlungen 103
Kap. 7. Ueber Verdickung der Augenlider 104
Kap. 8. Ueber die Aufblähung der Lider 105
Kap. 9. Ueber die Schwere in den Augenlidern 10f>
Kap. 10. Ueber die Verwachsung (Anwachsung) der Lider . . . 106
Kap. 11. Behandlungen 107
Kap. 12. Ueber die Verkürzung des Lids 107
Kap. 13. Behandlung 108
Kap. 14. Ueber das Hagelkorn 109
Kap. 15. Behandlung v 109
Kap. 16. Vom Gerstenkorn 109
Kap. 17. Behandlung 110
Kap. 18. Ueber die Fettgeschwulst 110
Kap. 19. Von ihren Symptomen 111
Kap. 20. Die Behandlungen 111
Kap. 21. Ueber die Maulbeere 114
Kap. 22. Ueber die Steinbildung 114
Kap. 23. Ueber Geschwüre und Zerreissungen des Lids . . 115
Kap. 24. Ueber Krätze und Jucken in den Lidern 115
Kap. 25. Die Behandlungen 116
Kap. 26. Ueber die Aufblähung <der Lider) 118
Kap. 27. Von den Zeichen 118
Kap. 28. Behandlungen 119
Kap. 29. Ueber das häufige Blinzeln 120
Kap. 30. Ueber den Ausfall der Wimpern 120
Kap. 31. Behandlungen 120
Kap. 32. Ueber die eingestülpten u. überschüssigen Wimpern 122
Kap. 33. Ueber die falschen (überflüssigen) Wimpern 124
Kap. 34. Behandlungen 124
Kap. 35. Ueber die Verwachsung der Lid-Ränder 126
Tractat IV.
Von den Zuständen der Sehkraft und ihren Thätigkeiten.
Kap. 1. Von der Sehschwäche 127
Kap. 2. Von den Zeichen 131
Kap. 3. Behandlungen 134
Kap. 4. Auseinandersetzung derjenigen Dinge, welche dem Sehver- mögen schaden 138
Kap. 5. Von der Nachtblindheit 139
Kap. 6. Behandlungen 140
Kap. 7. Ueber Tagblindheit 141
Viii Inhalt.
Seite
Kap. 8. Behandlung 142
Kap. 9. Von den Gesichts-Erscheinungen 142
Kap. 10. Von den Zeichen 145
Kap. 11. Von den Behandlungen zur Beseitigung des Star-An- fangs und der' Gesichts-Erscheinüngen 146
Kap. 12. Die Erweiterung <der Pupille) 149
Kap. 13. Von den Zeichen . . . 151
Kap. 14. Behandlungen 151
Kap. 15. Ueber die Verengerung <(der Pupille) 153
Kap. 16. Von den Zeichen 154
Kap. 17. Behandlungen 154
Kap. 18. Vom Star 155
Kap. 19. Von den Zeichen 158
Kap. 20. Von den Behandlungen 159
Kap. 21. Von der Vernichtung der Sehkraft 164
Kap. 22. Von den Zeichen 166
Kap. 23. Von der Lichtscheu 167
Kap. 24. Von der Schnee-Blendung 167
Kap. 25. Behandlung 168
Eegister der anatomischen und pathologischen Namen 169
Register der Arzneimittel und Instrumente 173
Autoren-Register 182
Die Ausgaben der citirten Schriften der Griechen und Römer . . 183
Zusätzliche Bemerkungen 184
Einleitung,
In der Geschichte der Kultur, also auch der Heilkunde, des Mittelalters begegnen wir zunächst den Arabern. Diese haben zuerst die hellenistische Bildung aufgenommen und ver- arbeitet und später den Völkern des Abendlandes überliefert. Die Leistungen der Araber werden verschieden beurtheilt, neuer- dings mit wachsender Anerkennung; doch sind unsre Kenntnisse von denselben noch recht oberflächlich. Die arabische Literatur- geschichte, sei es die allgemeine, sei es die besondere ärzt- liche, bewegt sich bis heute noch hauptsächlich auf dem bio- und biblio-graphischen Gebiete.
Das ungeheure handschriftliche Material der arabischen Werke über Heilkunde ruht noch im Staube der Bibliotheken. Wir wissen nicht einmal, ob und wie weit die Herausgabe des- selben sich verlohnen würde. Nur wenige Schriften1 (von al- Razi über die Pocken, von demselben über den Blasenstein, der Kanon des Ibn Sina und die Chirurgie des Abul-Kasim) sind arabisch2 herausgegeben: nur das Werk von Abul-Kasim und
1 I. Rhazis liber de variolis et de morbillis arabice et latine, cura J. Channing, London 1776. II. Traite sur le calcul dans les reins et dans la vessie par Abu Bekr .... Traduction accomp. du Texte par P. de Konig, Leyde 1896. III a. AI qanun fi'l tibb li-Abi Ali Ibn Sina, Romae 1593, in typographia Medicea. III b. AI qanun fi'l tibb li-Abi Ali Ibn Sina, Bulaq 1294 (d. H., d. i. 1877, zu Cairo). IV. Abulcasis de chirurgia, arab. et latine, cura J. Channing, Oxonii 1778.
2 Erwähnen könnte man noch das persische Werk des Abu Mansur über die pharmakologischen Grundsätze, das sowohl von Seligmann herausgegeben ,. als auch von Ach und ow in's Deutsche übertragen ist. Vgl. Histor. Studien aus dem pharmakol. Inst. d. Kais. Univ. Dorpat, her- um Sina. 1
Einleitung.
die Abhandlung über den Blasenstein liegt in moderner Ueber- setzung vor.3
Der Kanon des Ibn Sina, die Chirurgie des Abul-Kasim und noch eine grössere Zahl andrer Werke von arabischen Aerzten sind etwa im 12. Jahrhundert n. Chr. in's Lateinische übersetzt und um die Wende des 15. Jahrhunderts, sowie noch später, zum Theil in zahlreichen Ausgaben, gedruckt worden. Diese barbarisch -lateinischen Uebersetzungen sind nicht lesbar. Viele Sätze geben keinen Sinn, auch wenn wir jedes einzelne Wort verstehen. Der gelehrte Kasiri nannte sie perversiones potius quam versiones. Diejenigen Geschichtsforscher, weiche nur an diese lateinischen Texte sich hielten, haben zahlreiche Irrthümer nicht vermeiden können.
Wir haben es unternommen, aus dem arabischen Text des Kanon denjenigen Abschnitt, welcher von der Augenheil- kunde handelt, möglichst getreu, nicht möglichst elegant, in's Deutsche zu übertragen, und hoffen dadurch sowohl Aerzten und Augenärzten und allen, die für Kultur-Geschichte sich interessiren, ein inhaltlich wichtiges Büchlein zu liefern, als auch denjenigen Kennern des Arabischen, welche mit der Sprache der exakten Wissenschaften sich vertraut machen wollen, einen brauchbaren Uebungstoff an die Hand zu geben. Denn leicht ist die Leetüre des Kanon keineswegs. Gebildete „Araber", welche Lehrer ihrer Muttersprache sind, haben dies zugestanden. Der Abschnitt über Augenheilkunde ist auch für den letzt- genannten Zweck recht wohl geeignet, da wir die hier in Be- tracht kommenden Begriffe und ihre Darstellung in der grie- chischen Literatur als gut bekannt ansehen können.
ausgeg. v. Dr. R. Kobert, Prof. d. Gesch. d. Med. u. d. Pharmak. III. Halle a. S. 1893: Die pharmakol. Grundsätze des Abu Mansur Muwaffak bin Ali Harawi, zum ersten Male nach dem Urtext übersetzt und mit Er- klärungen vers. von Abdul-Chalig Achundow aus Baku. — Hierher gehört auch das Werk: Zusammengesetzte Heilmittel der Araber, nach dem 5. Buch des Kanon von Ebn Sina aus dem Arabischen übersetzt von Dr. Sontheimer, Freiburg i. B. 1845. (Die Uebersetzung ist mittelmässig.) 8 Abulcasis, Chirurgie, traduite par Lucien Leclerc, Paris 1861. L. wollte auch die Augenheilkunde des Ali ben Isa übersetzen, hat sie aber nicht veröffentlicht. Das 1. Buch derselben findet sich lateinisch in Hille, Ali ben Isa monitorii oculariorum speeimen, Dresd. et Lips. 1845.
Einleitung.
Ueber Ibn Sina und sein Werk mögen hier wenige Worte genügen.
980 in der Nähe von ßohärä als Sohn eines Gouverneurs geboren, studirte er Philosophie und Heilkunde, wirkte als Lehrer und hoher Beamter (Weztr), entfaltete auf den ver- schiedensten Gebieten der Wissenschaft, besonders in der Philo- sophie und Medizin, eine ausserordentliche Fruchtbarkeit und hat, obwohl seine Originalität gering ist, auf das wissen- schaftliche Studium nicht blos im Morgenland, sondern auch in Europa einen nachhaltigen Einfluss ausgeübt.4 Er starb, im 58. Jahre, 1037.
Ibn Sina war im Mittelalter dem Albertus Magnus, dem Thomas von Aquino, dem Johannes Scotus fast der grösste Philosoph; er ist es noch heute jedem gebildeten Araber. In der Heilkunde hatte er für seine Landsleute dieselbe Be- deutung, wie Galen für die griechische Welt; und besass in Europa im 12. — 16. Jahrhundert unbestrittene Geltung. Julius Scaliger stellte ihn noch über Galen.5
Der Kanon ist ein durch Ordnung und Genauigkeit aus- gezeichnetes, vollständiges Lehrgebäude der gesammten Heilkunde, einschliesslich der Chirurgie, — fast ohne Glei- chen. Von den Griechen besitzen wir nur Sammlungen, Auszüge, Compilationen. Der Kanon ist ein Werk aus einem Guss. Heutzutage braucht man ein ganzes Collegium von Aerzten, um ein entsprechendes Werk zu schaffen.
Obwohl Ibn Sina von besonderen Augenärzten (Kahhälin) spricht, nicht immer zu ihrem Lobe; so ist in seiner Darstellung der besondere Zweig der Augenheilkunde organisch mit dem ganzen System verbunden. Wir wählten Ibn Sina's Abhandlung von der Augenheilkunde gewissermaassen als Paradigma der ara-
4 Vgl. Brockelmann's Gesch. d. arab. Literatur I, S. 452. Ferner Wüstenfeld, Gesch. d. arab. Aerzte u. Naturforscher, 1840, N. 128. Leclerc, Hist. de la med. arabe, 1876, I, S. 466—477.
5 Der Herausgeber der lat. Ausgabe des Kanon, J. P. Mongius, äussert sich folgendermaassen: constaret profecto luce meridiana clarius <Avicennam)> non solum in aemulandis Graecorum studiis , quotquot ipsum praecessere, Judicium adhibuisse gravissimum, verum etiam in iis ampli- ficandis suo marte in ordinemque redigendis acerrimo valuisse ingenio . . . Venet. 1563.
Einleitung.
bischen Darstellungsweise, weil dieselbe in einem guten Druck vorliegt und einerseits ausführlicher, andrerseits geordneter ist, als die der andren arabischen Lehrbücher der gesammten Heil- kunde.6
Vergleichen wir diese arabische Darstellung mit der grie- chischen, wie sie in den Compilationen 7 des Oreibasios, Aetios8, Paulos9 u. A. uns überliefert ist; so können wir nicht umhin, der ersteren den Vorzug der Vollständigkeit, Genauigkeit, Ord- nung zuzugestehen, obwohl sie ja keineswegs original ist, son- dern im Wesentlichen auf dem von den Griechen überlieferten Stoff aufgebaut ist. Natürlich werden, nach der Sitte der Zeit, im Text nur wenige Vorgänger namhaft gemacht; aber diese sind um so wichtiger für unsre Betrachtung und sollen in einem besonderen Register zusammengestellt werden. Der genauere Nachweis im Einzelnen über die Abhängigkeit der arabischen Darstellung von griechischen Quellen wird in den Anmerkungen zu unsrer Uebersetzung geliefert werden und stellt einen Haupttheil unsrer Arbeit dar.
Wenden wir uns nunmehr zu dem arabischen Text, so ist zunächst zu bemerken, dass die handschriftliche Ueber- lieferung im Ganzen besser zu sein scheint, als etwa bei den uns erhaltenen griechischen Aerzten. Das ist auch einleuchtend, da das Arabisch, welches Ibn Sina schreibt, von seinen Tagen bis heute die Schriftsprache geblieben in der ungeheuren Ausdehnung der mohamedanischen Welt. Keinem Abschreiber einer arabischen Handschrift im Mittelalter war die Sprache seiner Schrift so fremd und unverständlich, wie dies für die Abschreiber griechischer Handschriften so vielfach der Fall gewesen. Allerdings hat (im 16. Jahrhundert) Andreas Alpago (aus Belluno) im Morgenland alte Handschriften des Kanon ge- sammelt und danach „die Fehler der lateinischen Uebersetzung
6 Später gedenken wir die hauptsächlichste arabische Sonderschrift über Augenheilkunde, die des Isa ben Ali, deutsch herauszugeben.
7 Leider besitzen wir kein griechisches Original-Werk über Augen- heilkunde. Vgl. Gesch. d. Augenheilk. im Alterth. von J. Hirschberg, 1899, S. 351flg.
8 Vgl. d. Augenheilk. d. Aet. von J. Hirschberg, 1899.
9 Vgl. Gesch. d. Augenheilk. im Alterth., S. 370 flg.
Einleitung.
von Gerard aus Cremona verbessert". Wenn man aber diese Verbesserungen, welche in der Venet. Ausgabe, von der wir gleich sprechen werden, als Rand-Noten erscheinen, mit dem Text vergleicht; so erkennt man leicht, dass sie recht häufig nicht eine falsche Lesart der arabischen Handschrift, sondern eine irrige Ueber Setzung derselben richtig stellen.
Also des Bellunensis alte Handschriften aus Syrien, die gleichfalls alten, welche dem Gerard in Toledo, etwa 100 Jahre nach dem Tode des Ibn Sina10, für seine Uebersetzung vorlagen, der ältere Druck des arabischen Textes zu Rom (1593), der neue zu Bulaq-Cairo (1877) geben uns schon ein genügendes Material zur Beurtheilung der handschriftlichen Tradition des Kanon, — ein besseres, als wir von den meisten grie- chischen Schriften ähnlicher Art besitzen.11
Nehmen wir z.B. den Paulos von Aegina, der um 668 n.Chr. wirkte: 1528 und 1538 ist sein Werk griechisch gedruckt; die Handschriften, welche der kritischen Ausgabe seiner Chirurgie von R. Briau (Paris 1855) zu Grunde liegen, stammen aus dem 11. bis 16. Jahrhundert: da ist doch eine Lücke von etwa 400 Jahren in der Ueberlieferung, zwischen der Zeit des Ver- fassers und der der ältesten Abschrift, Wie viel grösser wird diese Lücke, wenn wir zu Galen, vollends zu Hippokrates empor- steigen! Allerdings ist für die Bulaqer Ausgabe des Kanon, die bezüglich der benutzten Handschriften keine Nachricht enthält, zu bemerken, dass sie verschiedene durch Stil, Inhalt (und auch durch ihr Fehlen in den lateinischen Uebersetzungen) leicht er- kennbare kasuistische Zusätze eines nicht sehr alten, nicht sehr kenntnissreichen, abergläubischen, in Aegypten lebenden Arztes dem Schluss der betreffenden Kapitel unorganisch anfügt; wir haben diese leicht kenntlichen Einschiebsel durch [eckige] Klarn-
10 Ibn Sina's Schriften fanden ihren Weg nach Spanien etwa 100 Jahre nach ihrer Abfassung; Gafiki (um 1100 n. Chr.) citirt ihn. (Stein- schneider, Die hebr. Uebersetz. des Mittelalters, 1893, S. 677. Note 173.)
11 Natürlich würde dies Material noch wesentlich vervollständigt werden, wenn Jemand sich die Mühe geben wollte, die grosse Anzahl der Handschriften des Kanon in den Bibliotheken (des Escurial, zu Oxford, Florenz, Rom, Paris u. a.), die Wüstenfeld (S. 71) aufzählt, und auch die hebräischen Handschriften sowie den Druck (Neapel 1491) zu vergleichen.
6 Einleitung.
mern12 eingeschlossen. Hie und da ist auch die Spur eines älteren Einschiebsels nachweisbar. Von kritischer Verwerthung verschiedener Lesarten der Handschriften ist nicht die Rede: nur einmal in unsrem Text- Abschnitt erhebt sich die ßulaqer Ausgabe zu der Randbemerkung, dass in „andren Handschriften" noch ein „nicht" stehe. In kulturgeschichtlicher Hinsicht inter- essant ist die grosse Zahl von (griechischen) Fremdwörtern13, die in dem arabischen Kanon sich linden, zur Bezeichnung von Krankheiten und von Heilmitteln. Wir werden dieselben in unsren Registern der Krankheiten und der Heilmittel namhaft machen 14, die vielleicht in lexicalischer Hinsicht einiges Interesse bieten, und auch die Frage kurz erörtern, welche Worte wohl ursprünglich orientalischen Ursprungs gewesen und in das Grie- chische eingedrungen sein mögen.
Beiläufig sei bemerkt, dass die Zahl der persischen Worte im Kanon gering ist, obwohl ja Persisch Ibn Sina's Muttersprache gewesen sein dürfte; immerhin muss man bei denjenigen Worten, die arabisch sich nicht deuten lassen, auf persischen Ursprung gefasst sein.16
Am Schluss unsres Buches werden wir in einem kurzen Anhang über die folgenden Punkte noch berichten:
1. Ueber die zahlreichen, wenn auch meist leicht erkenn- baren Druckfehler der Bulaqer Ausgabe, von denen manche ja allerdings auf entsprechenden Schreibfehlern der Hand- schriften beruhen könnten.
2. Ueber die Fehler des Römischen Drucks, die noch zahl- reicher und schlimmer sind.
3. Ueber die Handschriften des Kanon, welche in der Königl. Bibliothek zu Berlin vorhanden sind. (6269 — 71.)
12 Also [ ] bedeutet ein Einschiebsel, das nicht von Ibn Sina her- rührt. Dagegen bedeutet <( )> die von uns in der Uebersetzung, behufs grösserer Deutlichkeit, eingeschobenen Worte; und ( ) die Erläuterung eines übersetzten Wortes oder Begriffes.
13 Hingegen in dem Sanskrit- Werk über Heilkunde, Sucruta's Ayur- veda, fast keines! Vgl. Gesch. d. Augenheilk. im Alterth., S. 34.
14 Viele sind in dem arabischen Text arg verstümmelt, so dass ihre Identificirung nur aus dem Vergleich der griechischen Texte, oder durch eine etwas kühne Conjectur, in einzelnen Fällen gar nicht möglich war.
13 Vgl. im Arznei-Verzeichniss rusnaja und schibjar.
Einleitung.
Weiterer Vergleich von Handschriften und Herstellung einer kritischen Text-Ausgabe liegt nicht in unsrem Plan.
Ueber die lateinische Uebersetzung des Kanon, die uns immerhin zu dem Verständniss des arabischen Textes, nament- lich auch zur Auffindung einiger Druckfehler der Bulaqer Aus- gabe, werthvolle Dienste geleistet hat, sei kurz das folgende be- richtet.
Sie rührt her von Gerard aus Cremona (1114 — 1187), der zum Studium der arabischen Sprache sich nach Toledo begab und dort, wie es heisst, auf Befehl des Kaisers Friedrich L, die hauptsächlichen Schriften der arabischen Aerzte (al-Razi, Ibn Serafiün, Abul-Kasim, Ibn Sina) in's Lateinische übersetzte. Ibn-Sina's Kanon war in Spanien erst 100 Jahre nach dem Tode des Vf.'s, also um 1140 n. Chr., bekannt geworden.
Wir können wohl nicht annehmen, dass Gerard solcher Hilfe sich bedient, wie z. B. Nicolaus Massa,16 der die ara- bische Lebensbeschreibung des Ibn Sina von dem zu Damas- cus lebenden Dolmetscher der Venetianischen Kaufleute in's Italienische übersetzen liess und diesen Text in's Lateinische übertrug.17
Aber, wer auch immer diese sogenannte Gerardische Uebersetzung des Kanon verfertigt hat, die uns heute in dem lateinischen Text gedruckt vorliegt, — er besass das feinste Verständniss für arabische Grammatik und hat den grössten Fleiss auf eine sklavische Wiedergabe des Grundtextes an den Tag gelegt. Vielleicht war seine Kenntniss der Heilkunde, namentlich auf unsrem Gebiet, nicht ganz so gross, wie die der arabischen Sprache. Allerdings kann man dieser lateinischen Uebersetzung vom Kanon des Ibn Sina nicht anmerken, dass die Urschrift wegen des eleganten Stils berühmt gewesen! Die barbarisch-lateinische Uebersetzung giebt die Gedanken des arabischen Textes so unvollkommen wieder, wie wenn ein feines Marmor-Bildwerk in grobem Sandstein nachgebildet worden. Das Studium der lateinischen Uebersetzung ist eine physische
16 Dies ist nur ein Beispiel von mehreren. Simon Januensis hat um 1300 die Werke des Ibn Serafiün „unter Interpretation des Juden Abra- ham von Tortosa" in's Lateinische übersetzt.
17 Baseler Ausgabe, Vorrede.
8 Einleitung.
Qual. Die zahlreichen Arabismen entziehen sich dem Ver- ständnis« des gewöhnlichen Lesers. Die Interpunction ist geradezu irreleitend. Natürlich ist dies weder ein Fehler des arabischen Textes, der ja keine Interpunction kennt, noch der lateinischen Handschrift, sondern hauptsächlich der Druck- legung. Eine ungeheure Zahl von arabischen Worten in dem lateinischen Text hemmt den Fortschritt des Lesers, wie wenn zahllose Sümpfe den Pfad des Wandrers kreuzen. Einige dieser arabischen Worte hat der Uebersetzer aus Bequemlichkeit oder Nachlässigkeit beibehalten; andre wohl absichtlich, weil sie ihm feiner oder pompöser vorkamen: beides thun heutige Aerzte ja vielfach mit griechisch-lateinischen Worten. Ein dritter Theil blieb deshalb unübersetzt, weil es sich um seltne Worte handelte, z. B. um Bezeichnungen von Pflanzen, Thieren u. dgl., deren genaue Uebertragung nicht gleich zu machen war, zumal im 12. Jahrhundert brauchbare Wörterbücher für diesen Zweck nicht existirten, wohl auch nicht im 16. Jahrh. Nicht unerörtert soll die Thatsache bleiben, dass zahlreiche und wichtige Namen der heutigen Anatomie aus diesen lateinischen Ueber- setzungen des Ibn Sina und al-Razi herstammen und sogar in die Nomenclatur der anatomischen Gesellschaft (heraus- gegeben von Prof. His, Leipzig 1895) übergegangen sind.
Wir haben zwei Ausgaben der Uebersetzung von Gerard benutzt, die nur wenig von einander abweichen:
1. Avicennae . . . libri in re medica omnes . . . . a Joann. Paulo Mongio Hydruntino et Joann. Costaeo Laudensi recogn. Venetiis, ap. Vinc. Valgrisium 1564. Diese Ausgabe enthält den Text des Gerard: die Verbesserungen des Andreas Alpago Bellunensis (und Andrer) sind am Rande verzeichnet.
2. Avicennae . . . über Canonis . . . . a Benedicto Rinio Veneto .... illustr. Basileae per Joannes Hervagios, 1556. Diese Ausgabe enthält den von Alpago verbesserten Text des Gerard.
Der schon mehrfach erwähnte Andreas Alpago war im Anfang des 16. Jahrhunderts zu Belluno geboren; als begeisterter Anhänger des Ibn Sina begab er sich nach dem Orient (Cypern, Syrien, Aegypten), um die arabische Sprache zu studiren und Handschriften des Ibn Sina zu sammeln und gab 1547 die von
Einleitung. 9
ihm verbesserte Uebersetzung des Gerard heraus, die Grundlage der beiden erwähnten Ausgaben. (Ueber eine dritte vgl. den Anhang.)
Da auch den grössten Verehrern des Ibn Sina nicht un- bekannt bleiben konnte, dass sein System und überhaupt die arabische Heilkunde aus der griechischen geschöpft ist; so haben sie sich bald daran gemacht, aus den lateinischen Ueber- setzungen der uns erhaltenen Reste der griechischen Aerzte die Parallel-Steilen aufzusuchen. Die Venetianische Ausgabe ent- hält in den Anmerkungen zu allen wichtigen Kapiteln jenen Hin- weis, die Erörterung der Uebereinstimmung oder Abweichung, lediglich vom Standpunkt eines gläubigen Dogmatismus. Die Baseler Ausgabe enthält eine förmliche Real-Concordanz zwischen Ibn Sina und den Griechen.
Diese Citate waren uns von grossem Nutzen, obwohl ja auch ohne dieselben die meisten der betreffenden Stellen leicht hätten aufgefunden werden können. Wir haben aber in unsren Anmerkungen einen ganz andren Zweck verfolgt. Wir wollten nachweisen, wo der Araber auf den Pfaden griechischer Ueber- lieferung sich bewegt. Da genügte uns nicht die Angabe des Buchs, sogar nicht des Kapitels der griechischen Schrift; wir brauchten die Worte des griechischen Textes. Manche Citate der lateinischen Ausgaben hatten für unsren kritischen Stand- punkt gar keinen Werth; andre, die wir selber fanden, einen sehr grossen. Oreibasios undAetios haben wir weit ausgiebiger benutzt, als unsre lateinischen Vorgänger, aus Galen eine reiche Nachlese gehalten und einige erst neuerdings gefundene Schriften (die sogenannte Augenheilkunde des Alex. Trall. und die Ueber- sicht des Leo u. A.) in den Kreis unsrer Betrachtungen gezogen. Natürlich konnten wir bei diesem Bestreben nur eine gewisse untere Grenze erreichen, d. h. nachweisen, welche Krankheits- Begriffe, Heil- Arten. Arzneien sicher in den Hauptwerken der Griechen niedergelegt und offenbar von den Arabern übernommen waren. Da aber von der Unzahl ärztlicher Schriften der Grie- chen nur ein so kleiner Theil zu uns herüber gerettet worden, so mag manches noch als Eigenthum der Araber erscheinen, was doch nur erborgt ist. Trotzdem ergiebt sich mit grosser Wahrscheinlichkeit ein gewisser Rest, den wir den Arabern zuschreiben müssen, da in den lückenlos erhaltenen Ab-
1 0 Einleitung.
handlungen der Griechen über Augenheilkunde keine Spur oder Andeutung davon zu linden ist. Dieser Nachweis ist ein Haupt- punkt unsrer Arbeit. Ferner ist kulturgeschichtlich inter- essant, in welche Form die Araber jene von den Griechen übernommenen Begriffe und Gedanken umgegossen und aus- geprägt haben.
Was nun von den rein arabischen Gedanken und Be- griffen dem Ibn Sina, was seinen Vorgängern und namentlich dem genialen al-Razi zuzuschreiben ist, kann heute noch nicht mit Bestimmtheit ausgesagt werden; namentlich ist dazu eine kritische Durcharbeitung des ungeordneten al-häwl (Continens) unerlässlich.
Dass wir die griechischen Citate nicht übersetzt haben, trotzdem viele Aerzte dies ausdrücklich begehren, möge man uns verzeihen, da sonst unsre Schrift ungebührlich lang und vielleicht langweilig geworden wäre. Dagegen haben wir uns erlaubt, den überlieferten griechischen Text an einzelnen Stellen, wo es uns nöthig schien, zu verbessern und richtig zu stellen.
Kanon,
drittes Buch, dritter Theil, über die Anatomie des
Auges und seine Zustände und seine Krankheiten.
Das sind vier Abschnitte, der erste (enthält) allgemeine Vor- bemerkungen über das Auge und über die Entzündungen des Auges.
Erstes Kapitel. Von der Anatomie des Auges.1
Die Sehkraft und der Stoff des Seh-Geistes2 dringt in das Auge auf dem Wege der beiden hohlen3 Nerven, welche Du* bereits in der Anatomie4 kennen gelernt hast.
Indem die Nerven und die Häute, welche mit ihnen. ver- bunden sind, zur Augenhöhle herabsteigen, erweitert sich das Endstück eines jeden derselben und füllt sich und vergrössert sich derart, dass es die Feuchtigkeiten umfassen kann, die in der Pupille sich finden. Von diesen ist die mittlere die eis- artige6 (Krystall- ähnliche). Das ist eine durchsichtige Feuchtig- keit, wie ein Hagelkorn. Sie ist rund von Gestalt. Doch ver-
1 Dieselbe ist wohl nach Galenos gearbeitet, aber doch keine Über- setzung aus dessen Schrift vom Nutzen der Theile (X. Buch, A. v. Kühn, B. III, S. 759—819). Vgl. Gesch. d. Augenheilk. im Alterth., S. 192.
2 nvevfxa ömixöv des Galenos und seiner Nachfolger, Oreibasios, Aetios, Paulos, Joannes.
3 Über diese von Erasistratos geschaffene Lehre vgl. Rufus (S. 185), Galenos (VII, 89) und a. a. 0. Ferner Gesch. d. Augenheilk. im Alterth., S. 201.
•4 Kanon, Buch I, Fan 1, Doctr. 5, Summ. 3, c. 2. 5 tö xQvaiaXloscöeg vygöv, Galen, a. a. 0. c. 1 u. a.
12 Augenheilkunde des Ibn Sina, erster Abschnitt.
ringert sich ihre Rundung durch Zusammenpressung von vorn6; zusammengedrückt ist sie, damit in ihr die Abbildung reichlicher63 an Maass sei, und damit die kleinen Seh-Gegenstände einen grossen Abschnitt finden, in dem sie sich abbilden. Und ihre Hinterfläche ist deshalb ein wenig zusammengezogen, damit ihre Bedeckung gut sei in den Körpern, die sie aufnehmen7: und diese (letzteren) sind ausgehöhlt und nach der Zusammenziehung erweitert, dass sie (den Krystall) auch gut aufnehmen.
Diese (Krystall-)Feuchtigkeit ist in die Mitte des Auges gestellt, weil dies, in Beziehung auf Schutz, der sicherste Ort ist. Hinter ihr befindet sich eine andre Feuchtigkeit, welche vom Gehirn zu ihr herabgelangt, um sie zu ernähren; denn zwischen der ersteren und dem reinen Blut bildet die letztere (gewissermaassen) eine Mittelstufe.8 Diese letztgenannte Feuch- tigkeit ähnelt dem geschmolzenen Glase.9 Die Farbe (dieses) geschmolzenen Glases ist klar, neigt aber zu einem schwachen Roth10 hin. Klar ist sie, da sie Klares (den Krystall) zu er- nähren hat; einen Anflug von Roth hat sie, da sie aus der Substanz des Blutes herstammt. Und sie wird nicht vollständig ähnlich dem, was rein11 (d. h. ohne Blut) ernährt wird. Und diese (Glas-)Feuchtigkeit liegt hinter jener (kry stallen en), weil sie die Sendung des Gehirns zu jener, vermittelt durch die Netz- haut, darstellt: darum ist es nöthig, dass der (Glaskörper) dem (Krystall) benachbart sei. Und diese Feuchtigkeit überragt die von der Hinterfläche (gebildete) Hälfte des Krystalls bis zu dessen grösstem Kreise (Aequator).
Vor dem (Krystall) befindet sich eine dritte Feuchtigkeit, ähnlich dem Eiweiss12, und so, nämlich die eiweiss- artige,
6 Galen, a. a. 0., X, c. 6.
6a Andre Lesart: passend u. s. w.
7 Galen, a. a. 0. ede^cn' av.
8 Galen, c. 1. to vaXoeideg, öaco nnxvzeqov xal levxöieqov aipaiog, toqovtov xov xgvoicülosidovg dnoXsinöfiBvop vyQÖzi]iL ze xal (pavözrjzi.
9 Galen, c. 1. loaneq zig vnlog vnb &6Q[iov xexvfisvr],
10 Ibn Sina: „neigt aber etwas nach Eoth hin". Galen, c. 1, etwas anders: öUyov [xeXavog XsvxcÖ nolla xQa&evzog.
11 Galen, c. 1. xazn diädodiv TQecpeiai, durch Uebertragung (Endosmose) wird sie ernährt.
12 vyQOv Xetitöv, v. aosideg, Galen.
Erstes Kapitel. Von der Anatomie des Auges. 13
benannt. Sie ist wie eine Absonderung, die aus dem Krystall hervorkommt. Aber die Absonderung des Klaren ist klar. Sie befindet sich vor dem Krystall, infolge einer primären Ursache und infolge einer ergänzenden. Die primäre Ursache liegt darin, dass der abgesonderte Theil eine entgegengesetzte Lage haben muss, wie der ernährende. Und die ergänzende Ursache liegt darin, dass das Eindringen des Lichts in den Krystall abgestuft werde, und dass dem letzteren gewissermassen ein Schirm ge- schaffen werde. Weiter umfasst die End-Aus breitung des (ß eh-) Nerven den Glaskörper und den Krystall bis zur Grenze zwischen diesem letzteren und der Eiweiss-Feuchtigkeit, — die Grenze, bis zu welcher der Glaskörper gelangt, liegt am Kranz, — gerade so wie ein Netz den Fang umschliesst; deshalb wird diese <(End- Ausbreitung des Seh-Nerven) Netzhaut13 genannt. Es entspringt aus ihrem ^vorderen) Ende ein Spinngewebe14, aus welchem ein feines Häutchen15 sich erzeugt, mit dem auch gleichzeitig Fäden eindringen aus der Aderhaut16, die wir gleich nennen werden. Und jenes feine Häutchen bildet die Grenze zwischen dem Krystall-Körper und der Eiweiss-Feuchtigkeit, damit zwischen dem Dünnen und dem Dichten etwas Trennen- des bestehe, und damit es ^selber) Nahrung empfange von vorn her, welche von der Netzhaut und Aderhaut her gelangt. Und dünn ist <jenes Häutchen), wie Spinngewebe, nur deshalb, weil, wenn es dicht wäre, gerade vor dem Krystall, dasselbe mög- licherweise durch seine Zustands-Aenderung den Licht(- Strahl) auf dem Wege durch den Krystallkörper zum Eiweiss hin zu hemmen im Stande wäre.
Was nun das Ende der vorher genannten weichen Haut betrifft, so füllt sie sich mit und verzweigt sich in Blutadern, wie die Nachgeburt: sie in der That lässt die Nahrungsstoffe eindringen. Doch ist es nicht unumgänglich, dass alle Theile derselben hergerichtet seien zum Nutzen des Ernährbaren, son-
13 Galen, c. 2. a/iqiißkrjaiQoeiörjg (/trw*> <5' ovöa^cog ecritv).
14 Zonula, das Aufhängeband der Krystall-Linse.
15 Vordere Linsen-Kapsel.
16 Galen, c. 2. Von der Aderhaut in die Netzhaut gehen öiaieza-
14 Augenheilkunde des Ibn Sina, erster Abschnitt.
dem nur der hintere Theil derselben, der eben Aderhaut17 genannt wird. Derjenige Theil hingegen, welcher die eben er- wähnte Grenze nach vorn zu überschreitet, wird zu einer Haut von einiger Mächtigkeit18, himmelfarbig zwischen Weiss und Schwarz, um die Sehkraft zu sammeln, und um das Licht durch seine Wirkung zu regeln 19, wie wir die Sehe zu bedecken pflegen bei der Ermüdung, die ihre Zuflucht nimmt zur Dunkelheit oder zur Vereinigung von Finsterniss und Licht (zum Halb- dunkel); und um eine Grenzscheide zu bilden einerseits zwischen den Feuchtigkeiten und andrerseits zwischen der Hornhaut, die eine so grosse Härte besitzt, und als ausgleichende Vermittlerin (z wischen beiden) dazustehen; und endlich um die Hornhaut zu ernähren20 mit dem, was sie selber vo.n der Aderhaut empfangen hat. Nach vorn zu greift sie nicht vollständig herum, um nicht das Eindringen der Bilder auszuschliessen; vielmehr lässt sie in ihrem vorderen Theil ein Fenster und Loch, wie es in einer Beere21 bleibt, wenn man von ihr den Stiel aus- reisst. In dieses Loch fällt (von den Seh-Strahlungen) , was
17 Galen, /OQLOEidrjg yciüv.
18 Regenbogenhaut. Galen, c. 3, Qn/yoeidi'jg.
19 Obwohl die alten Griechen sowohl bleibende als auch vorüber- gehende Veränderungen der Pupillen -Breite gekannt und beschrieben haben, so finden wir doch die klare Angabe, dass die gesunde Pupille im Dunklen sich erweitert, im Hellen sich verengert, nicht in den er- haltenen Resten der griechischen Aerzte, sondern zuerst bei dem Araber al-Razi (Ad Almans. I, 8): Constringitur, cum lumen est multum, et dila- tatur, cum est in obscuro. Hoc autem foramen est pupilla.
20 Galen, c. 3. &QE\povza ibv KEQctTOEiör).
21 Im Arabischen steht Traube. Auch die Griechen haben auf diesem Gebiete öfters Traube mit Beere verwechselt, z. B. in (jKtcpvlcofia. Nicht dieses Bild der Weinbeere mit vorn ausgerissenem Stengel hatten die Griechen im Auge, als sie (nach Herophilos) entweder die Aderhaut mit- sammt der Regenbogenhaut oder die letzter^ allein als Qayoeidijg, d. h. beerenartige Haut, bezeichneten. Rufus (S. 135), Qayoeidijc, özt eolxs Qayi tt] e^co&ev leiöirju xal ifj evdo&ev daavzrjTi. S. 171: to Öe xsTqrjixevov acofia letov fiev iauv e^cü&ev . . . öaav ds änb tüjv anevTQanfjevcov, log cprjaiv 'Hqö- q>dog, doQÜ gayög (TTttq)vlrjg öfioiov. Ebenso Galen, c. 4, der otfiai hinzu- fügt. Aetios etwas anders (c. 1): toixs ~<yao oayi (jiaq)vlr)g to gxw& *«* %r\v xQÖav. (Vgl. H.'s Wörterbuch der Augenheilk. S. 10 u. 99; Gesch. d. Augenheilk. im Alterth. S. 196.) Seit den lat. Uebersetzungen der Araber ist das Wort uvea aufgekommen.
Erstes Kapitel. Von der Anatomie des Auges. 15
ankommt; wenn dasselbe sich verschliesst, wird das Sehen auf- gehoben.
Auf der inneren Fläche dieser Beerenhaut befindet sich eine weiche Falten-Bildung, da wo sie an den Krystall grenzt, damit sie <(daselbst) einem lockeren, weichen Körper ähnlicher sei, und so jede Schädigung seitens ihrer Berührung vermieden werde.22 Härter aber ist (die Beerenhaut) an ihrer vorderen (äusseren) Fläche, da wo sie der harten Hornhaut benachbart ist23; und ebenfalls da, wo sie durchbohrt wird, damit der Um- kreis des Loches fester sei. Und dieses Loch ist voll von Feuchtigkeit, zu dem schon erwähnten Nutzen; und ferner auch von Luft24; das letztere folgt aus der Runzelung (des Auges)25, welche beim Herannahen des Todes vor dem Sehloch her- vortritt.
Die zweite26 Haut des Auges ist sehr fest, um guten Halt zu gewähren. Ihr hinterer Theil heisst die harte27 Haut und die dicke. Ihr vorderer Theil überfängt die ganze Pupille und ist (licht-)durchlässig geschaffen, um nicht das Sehen zu ver- hindern. Deshalb besitzt er die Färbung einer Horn-Scheibe, welche durch Feilen und Schaben verdünnt ist und wird daher Hornhaut genannt.28 Am dünnsten ist sie aber in ihrem vor- dersten Abschnitt. Und sie ist wirklich gewissermassen aus vier
22 Galen, c. 4.
23 Ebendas.
24 Ausführlich bei Galen, c. 5 (xai öxi nvevfiaxog nlrjqrjg eaxlv 6 xarre
T)]V XÖQTJV TÖTCOC).
25 bv&vc d' uv omctg 6 ö(p&al{ibg Qvcrabg yevoixo, Galen, c. 5.
26 Da Ibn Sina die Netzhaut nur als Endausbreitung des Sehnerven, nicht als besondere Haut betrachtet, — auch Galen sagt, c. 2, yixuv d' ovöa^icog eaxiv, — so ist Ader- und Regenbogen-Haut die erste Haut des Auges, Leder- und Horn-Haut die zweite, Bindehaut die dritte. Anders bei Ruf us (S. 135). Ihm ist Hörn- und Leder-Haut die erste, Ader- und Regenbogen-Haut die zweite, Netzhaut die dritte; übrigens die Linsen-Kapsel die vierte. Noch anders in den pseudogalenischen Schriften.
27 GxlriQbg %ixü>v oder crxXrjQa (ifjviy^ bei Galen, c. 2, dura bei den Uebersetzungen der Araber.
28 xsQaxosidrjg, Galen, c. 3, der von dünn geschnittenen Hornblätt- chen spricht; ebenso schon Rufus, auch Celsus, der die Uebersetzung in's Lateinische nicht wagt, während der schwülstige Plinius (XI, 37, 55) sagt: Media cornua (oculorum).
16 Augenheilkunde des Ibn Sina, erster Abschnitt.
feinen Schichten29 zusammengesetzt, die mit übereinander ge- legten Schalen zu vergleichen sind, damit, wenn eine von ihnen abgeschält wird, nicht {gleich) ein allgemeiner Schaden eintritt30, zumal in dem Theil der Haut, welcher dem Sehloch gegenüber liegt, da diese Stelle am meisten des Schirms und Schutzes bedarf.
Die dritte Haut mischt sich mit den Muskeln der Bewegung des Auges 31 und ist ganz von weissem und festem Fleisch durch- wachsen, um das Auge und das Lid weich zu betten und um ihre Vertrocknung zu verhindern. Diese Haut wird in ihrer GesammtL3it Bindehaut32 genannt. Die den Augapfel be- wegenden Muskeln haben wir schon in der Anatomie erwähnt.33
Die Wimperhaare sind dazu geschaffen, um abzuweisen, was gegen das Auge fliegt, und was gegen dasselbe vom Kopf herabfällt; und um das Licht zu mildern durch ihre Schwärze.34 Ihre Wurzel steckt in einer Art von Haut, die einem Knorpel35 ähnlich ist, damit jene darauf einen festen Halt finden, und nicht herabsinken wegen Nachgiebigkeit des Einpflanzungs-Ortes ; und damit der Muskel, welcher das Auge eröffnet, einen Stütz- punkt gewinne, wie an einem Knochen, so dass seine Function gut von Statten geht. Die Theile des Lids sind: die Decke, dann eine Schicht der Bindehaut, dann sein Fett, danach seine Muskeln36, hierauf die hinterste Schicht. So ist es am oberen Lid. Dem unteren fehlt der Muskel. Und der Ort, bei dessen
29 Schon bei Rufus (?, S. 171), xxrjööveg. Aetios (c. 31, S. 60): avv- ecnrjue yaQ 6 xEQaioeidrjg in TenäQCov olov vfievcodwv acofiäicop.
30 Im Arabischen steht noch: [Einzelne behaupten, dass es drei Schichten sind.] Dies ist, als Rand-Bemerkung, wieder aus dem Text zu entfernen. In den latein. Uebersetzungen (Basil., Venet.) fehlt dieses Ein- schiebsel, das übrigens an späterer Stelle noch einmal wiederkehrt.
31 Arabisch steht hier Pupille für Auge.
32 Galen, c. 7, negiöaTiog vfirjv, an andren Stellen auch snmecpvxcüg (B. XII, S. 711); bei Rufus snidBQiüg. Arabisch multahim, sich vereinigend, conjunctiva.
33 Lib. 1, Fan 1, Doctr. 5, Summ. 2, c. 4.
34 Im arab. Text [da die Schwärze das Licht des Blicks sammelt] scheint eine Rand-Bemerkung zu sein.
35 Galen, c. 7.
36 Galen, c. 10.
Zweites Kapitel. Diagnose d. Zustände u. Temperamente d. Auges etc. 1 7
Spaltung Bedenken besteht,37 ist derjenige, der seinem Winkel benachbart ist, beim Anfang des Muskels.38
Zweites Kapitel.
Ueber die Diagnose der Zustände und Temperamente des Auges und allgemeine Besprechung seiner Krank- heiten. 1
Die Diagnose in Betreff des <(Auges) wird gemacht aus seiner Berührung, aus seiner Bewegung und aus seinen Blut- Adern und aus seiner Farbe und Gestalt und Grösse und aus seinen specifischen Thätigkeiten und aus der Beschaffenheit seiner Absonderungen und aus der Beschaffenheit seiner Leiden.
Die Diagnose aus der Berührung hat zu beurth eilen, ob man das Auge warm oder kalt, oder hart und trocken oder wreich und feucht findet.2
Was die Diagnose aus seiner Bewegung anlangt, so musst du betrachten, ob seine Bewegung leicht erfolgt; und dies bedeutet Wärme oder Trockenheit desselben, was auch schon die Berührung erkennen lässt: oder ob sie schwer von Statten geht, was Kälte und Feuchtigkeit anzeigt.
Bei der Diagnose aus den Blut- Adern muss man beurtheilen, ob jene dick und weit sind, was Wärme bedeutet; oder ob sie dünn und zusammengezogen sind, was auf Kälte hindeutet; oder ob sie leer sind, was Trockenheit anzeigt; oder ob sie voll sind, was Anhäufung von Materie im Auge kennzeichnet.
37 Nämlich, dass regelrechte Verwachsung ausbleibe, wegen Fehlens des Muskels. (Aristot. Ziy, c 11, S. 518* 1.)
33 Die Uebersetzung dieses Kapitels hat nicht unerhebliche Schwierig- keiten bereitet. Doch muss man zugestehen, dass Ibn Sina's Anatomie des Auges klar und genau ist; lesbarer, als die von Galen, in der Schrift vom Nutzen der Theile, und einfacher, als des Oreibasios Auszug aus dem Galen. (B. III, S. 294—304.)
1 Gleichfalls nach griechischen Büchern, hauptsächlich nach Galen bearbeitet, aber nicht die Uebersetzung eines uns bekannten Textes.
2 Galenos (die ärztl. Kunst, c. 9, B. I, S. 329): ogol per (öy&nl- uoi) amofievoig evagycog ei(SL &SQ[Aoi, xal xivovvica (jadlcog xe xal nolXamg, xal cpleßag evQSiag e/ovai, &6Qfj,ol (TVfinavisg elgi . . .
Ibn Sina. 2
18 Augenheilkunde des Ibn Sina, erster Abschnitt.
Die ßeurtheilung des Auges nach seiner Farbe fusst darauf, dass die Verfärbung desselben die entsprechende Feuchtigkeit als vorherrschend anzeigt, je nachdem erstere roth oder citron- gelb oder bleigrau oder dunkel ist.
Die Diagnose aus der Gestalt desselben hat zu berücksich- tigen, dass ein gutes Aussehen eine angeborene starke Natur verräth, ein krankes Aussehen das Gegentheil. Die Anlage seiner Grösse und Kleinheit ist ebenso zu beurtheilen, wie das, was wir in Bezug auf den Schädel gesagt haben.3
Die Diagnose aus seiner specifischen Thätigkeit besteht darin, dass, wenn das Auge einen ganz kleinen Gegenstand aus der Entfernung erkennt und gleichzeitig auch aus der Nähe, und wenn es dabei nicht von den Strahlen, die von grellen Gegenständen zurückgeworfen werden, belästigt wird, dasselbe von kräftigem Temperament und normal sein muss.4 Wenn die Sehkraft schwach ist, im entgegengesetzten Zustand zu dem ebengenannten, dann besteht in seiner Mischung und in seiner Anlage ein Fehler. Wenn dasselbe fähig ist, nahe Gegen- stände zu erkennen, auch wenn dieselben klein sind; dagegen nicht im Stande ist, Entfernteres zu erfassen: dann ist der Seh- geist klar, gesund, aber gering; und die Aerzte erklären, dass er nicht genügt für die Ausbreitung nach aussen, wegen seiner Feinheit.6 Sie bezeichnen damit die Seh-Strahlung, die nach ihrer Meinung von der Menge des (Seh-)Geistes herrührt, und dass er austritt und den sichtbaren Gegenständen be- gegnet. Wenn das Auge nicht zu schwach ist, Entfernteres zu erfassen, dagegen kleine Gegenstände, die in die Nähe gerückt werden, nicht sieht; diese aber wiederum erkennt, wenn sie bis zu entsprechender Entfernung abgerückt werden: dann ist der <[Seh-)Geist reichlich, aber trübe, weder klar, noch fein, vielmehr feucht; und die Mischung des Auges ist feucht. Die Aerzte
3 Fan I, Tr. 1, c. 10.
4 Galen, von den Ursachen der Symptome I, 2 (B. VII, S. 86 flg.). Vgl. Gesch. d. Augenheilk. im Alterth. § 208 flg.
5 Galen, ebendas. c. 2. ea^ de <jo nvevjjia. to tpv/ixbvy ollyov fiev ?h xa&aQov de, t« uev eyyvg axQißciJg dcafivwGy.ei, xa nÖQQCO&ev de ov/ öga. Paul. Aeg. III (c. 22, § 42): (jivtaniaGiQ) vnb äa&eveiag lyivofxevr; xov ömixov nvevfiaTog.
Zweites Kapitel. Diagnose d. Zustände u. Temperamente d. Auges etc. 19
meinen, dass jener nur durch Bewegung in die Ferne verfeinert und geklärt werde: wenn die Seh -Strahlung fortschreitet in der Bewegung, wird sie verfeinert und verdünnt. Wenn drittens Schwäche nach beiden Richtungen hin besteht, dann ist der Sehgeist sowohl sparsam, als auch trübe.6
Die Diagnose aus der Art der Absonderungen ist folgender- massen. Wenn das Auge trocken ist und keinen Augenfluss bewirkt, dann hat es eine trockne Mischung; und umgekehrt, wenn es reichlich Augenfluss bewirkt, dann ist es selbst von sehr feuchter Beschaffenheit.
Die Diagnose aus seinen Veranlagungen zu Krankheiten gestaltet sich folgendermassen. Wenn ihm die Wärme schadet und die Kälte wohl thut, dann hat es den Fehler des heissen Temperaments; und den entgegengesetzten, wenn ihm das ent- gegengesetzte <(das Kalte) schadet.7 Wissen soll man, dass das mittlere in jeder Veranlagung dieser Art das normale ist, — ausser dem Ueberfluss in der Güte des Sehens: denn dieser ist das normale.8
Es befallen nun das Auge alle möglichen Erkrankungen: materielle und reine und zusammengesetzte und organische und allgemeine (dem ganzen Körper angehörige). Die Augen- Symptome in der Form des Blinzeins und des Lidschlusses und der Oeffnung und der Verfärbung und dem Thränen liefern Beurtheilungen, welche sich beziehen auf akute (Allgemein-)Er- krankungen9, und man muss nach ihnen forschen. Ferner sind die Krankheiten des Auges manchmal ihm allein eigen und manchmal stehen sie im Zusammenhang mit dem ganzen Körper. Was aber am nächsten mit ihm zusammenhängt, ist das Gehirn und der Kopf und dessen äussere Hüllen und die inneren, und ausserdem der Magen. Eine jede Augen-Krankheit, die von den äusseren Hüllen her fortgepflanzt wird, ist leichter zu heilen, als die gegentheilige.
6 Vgl. Galen (a. a. 0.) und Gesch. d. Augenheilk. im Alterth. § 211.
7 Galen, von d. ärztl. Kunst, c. 9: xai ßXänTOvmi vnö t&v bfiolwv (XLTi&v xfj xqöhjsi Qaöicog.
8 Eine richtige Bemerkung.
9 Vgl. die Hippokratische Prognostik, c. 2 und Gesch. d. Augen- heilk. im Alterth., S. 122 flg.
2*
20 Augenheilkunde des Ibn Sina, erster Abschnitt.
Drittes Kapitel. Ueber die Zeichen der Augenkrankheiten.1
Als Zeichen einer mit dem Gehirn im Zusammenhang2 stehenden Augen-Erkrankung <(gilt die Thatsache), dass im Ge- hirn gewisse Anzeichen seiner Schädigung, die schon erwähnt wurden, vorhanden sind. Denn, wenn seine inneren3 Häute als Vermittler gedient, wird man beobachten, dass die Schädigung und der Schmerz von der Tiefe des Auges ihren Ausgang nehmen. Und wenn heisse Materie <^dabei im Spiele) ist, wird man Niessen und Jucken in der Nase antreffen; und, wenn sie kalt ist, wird man kalten Ausfluss merken.
Nur selten wird diese Verbindung bestehen mit dem Fehler einer einzelnen Mischung. Und wenn Zusammenhang besteht mit den äusseren Häuten, und die Materie von diesen aus- gegangen ist ; wird <der Kranke) eine gewisse Spannung fühlen, welche von der Stirn und den äusseren Blut-Adern ausgeht und die Schädigung wird sich mehr in dem Theil zeigen, der auf das Lid folgt.
Wenn <(das Augenleiden) im Zusammenhang steht mit dem Magen, so werden jene Symptome auftreten, die wir in dem Kapitel über die Wechselbeziehungen zwischen Gehirn und Magen erwähnt haben.4 Und, wenn dabei Gesichtstäuschungen 5 auftreten, die durch den Magen verursacht werden, so wird man bei Leere des Magens eine Verminderung derselben, und bei Sättigung eine Vermehrung beobachten.
Dagegen sind die Symptome der von einer Materie6 ab-
1 ahwäl, diädsacg.
2 Galen, von den örtl. Leiden, IV, c. 2 (B. VIII, S. 217).
3 C eis., VII, VII, 15; Galen, Syst. d. Heilkunst, XIII, c. 22 (B.X,S. 940).
4 Fan I, tr. 1, c. 15.
5 0avTäa(iaTa bei Galen. Vgl. die berühmte Stelle, von den örtl. Leiden, IV, c. 2 (B. VIII, S. 221 flg.).
6 Vgl. Ioann. Akt. neql öiotyväaecog na&ojv £' (Ideler, Phys. u. med. Graec. min., II, S. 444; Hirschberg, Arch. f. Ophth. XXXIII, 1, S. 51): rj yay fiövov aifiazog r] fiovrjg /oXrjg rj (p"key^aTog rj öijeog rj alvaov r) önoiov- örjTivog ällov r) ex diaqpoQcov xai (jvfinenleyiievav to gevfia (rwv 6(p&ak[j,cövy yivexai. (Ioann. Akt. lebte ja nach Ibn Sina, hat aber aus älteren Griechen geschöpft.) Vgl. auch Kap. 7, wo die entsprechenden Stellen aus AI ex and. Trall. u. A. angeführt sind.
Drittes Kap. Ueber die Zeichen etc. Viertes Kap. Allg. Grundregeln etc. 21
hängenden, auf das Auge selbst beschränkten Erkrankung der- artig, dass ein vom Blut ausgehendes Leiden gekennzeichnet wird durch Schwere und Eöthung und Thränen und Anschwel- lung und strotzende Fülle der Blut-Adern, Pulsation an den Schläfen, Verkleb ung, Augenfluss, Wärme bei der Berührung; zumal wenn sich gleichzeitig Zeichen, die vom Blut herrühren, am Kopf zeigen.
Die durch Schleim hervorgerufene ^Augen-Erkrankung) wird gekennzeichnet durch starkes Gefühl der Schwere, undeut- liche Röthung mit blei-ähnlicher Verfärbung, Verklebung der Lider, Augenfluss, Schwellung und geringes Thränen. Die von der Galle herrührende <( Augen- Erkrankung) wird gekennzeichnet durch Stiche und Entzündung mit Röthung, die in's gelbliche übergeht und welche nicht so, wie die blutige Röthung, aussieht; und durch Dünne der scharfen Thränen und durch geringe Ver- klebung {der Lider) und Wärme bei der Berührung. Die von der schwarzen Galle herrührenden Erkrankungen werden ge- kennzeichnet durch Schwere mit Veränderung der Farbe und geringe Verklebung. Die reinen Mischungen werden gekenn- zeichnet durch Schwere mit Austrocknung und mit der An- wesenheit derjenigen Zeichen, die wir schon in dem (zweiten) Kapitel über die Diagnose erwähnt haben. Jeder einzelnen der organischen und allgemeinen Krankheiten wird ein besonderes Kapitel gewidmet werden.
Viertes Kapitel.
Allgemeine Grundregeln über Heilung von Augen- Erkrankungen. x
Die Behandlungen des Auges sind entgegengesetzt den Erkrankungen des Auges.2 Und, da die Krankheiten3 entweder
1 Vgl. Galen, System der Heilkunst, XIII, c. 22 (B X. S. 935) und Gesch. d Augenheilk. im Alterth., S. 339. Aber die Darstellung des Ibn Sina ist keineswegs eine einfache Uebersetzung aus Galen, sondern eine dogmatische Erörterung nach galenischen Grundsätzen.
2 Allgemein, Hippokr. , Sprüche II, 22: . . . tj/iat . . . ?/ vnevavTicotng. Besonders, in Beziehung auf das Auge, Galen, System der Heilkunst, II, c. 22 (B. X, S. 939): ivÖBinvvfievrjv 8s &8Qa7iel(xv ivavxlav eavirj.
3 Vgl. Galen, System d. Heilkunst, II, c. 6 (B. X, S. 125) und a. a. 0.,
22 Augenheilkunde des Ibn Sina, erster Abschnitt.
materiell oder rein oder zusammengesetzt sind oder in Aufhebung des Zusammenhangs beruhen; so muss auch die Behandlung des Auges entweder in einer Entleerung bestehen, — und hierfür kommt in Betracht die Behandlung der Entzündungen, — oder in einer Aenderung der Mischung oder in einer Verbesserung der Gestalt, — wie bei der Glotzäugigkeit, — oder in der Verheilung und Fleisch-Anbildung.
Aus dem Auge wird nun Materie in zwiefacher Weise ent- leert4: entweder auf dem Wege der Ablenkung von ihm fort oder auf dem Wege der Beseitigung aus ihm heraus.
Die erstere geschieht zunächst aus dem ganzen Körper, falls dieser gefüllt ist; dann aber aus dem Gehirn, mit denjenigen Mitteln, welche du bezüglich der Reinigung des letzteren bereits kennen gelernt hast.5 Dann folgt die Ablenkung von ihm fort auf dem Wege der Nase und durch die dem Auge benachbarten Blut-Adern, wie die Blut-Adern der beiden Augenwinkel. Aber die Herausbeförderung aus ihm geschieht durch Augenmittel, welche das Thränen hervorrufen. 6 Eine Veränderung der Mischung kann man ebenfalls durch besondere Mittel bewirken.
Eine Lösung des Zusammenhangs, die bei dem Auge her- vortritt, wird gehoben durch Mittel, welche austrocknen, jedoch nicht zu stark, und weit davon entfernt sind zu beissen. Du wirst diese Mittel kennen lernen bei unsrer Besprechung der Augen-Entzündung und der übrigen materiellen Erkrankungen des Auges. Ferner soll man wissen, dass bei den materiellen Augen-Erkrankungen eine Verminderung der Nahrung vorzu- schreiben ist, und Zulassung dessen, was guten Saft erzeugt, und Vermeidung dessen, was Dünste macht und schwer zu ver- dauen ist.
Wenn die Materie aus einem Gliede herstammt, so ver-
bes. B. VI, S. 409; Oreibas. B. III, S. 1; Gesch. d. Augenheilk. im Alterth. S. 318, Anm. 4. — Galen unterscheidet: I. Materielle Erkrankungen des Auges, 1. des ganzen Organs, 2. seiner gleichartigen Theile; II. reine Functions-Störungen der licht-strahlenden Innervation.
4 Hippokr., von d. Säften, I, und Galen's Comment, B. XVI, 8. 105.
5 Fan 1, t. 1, c. 29.
6 dnoöaxQVTixä, Galen, XVI, S. 148, Cass. Problem 18 (Ideler I, S. 151), Aet. S. 8. Z. 15, Gesch. d. Augenheilk. im Alterth., S. 343.
Viertes Kapitel. Allg. Grundregeln üb. Heilung v. Augen-Erkrankungen. 23
suche den Aderlass an diesem Gliede. Und, wenn die Materie von der äusseren Haut herstammt, so musst du Schröpf köpfe setzen und zurücktreibende Mittel auf die Stirn anwenden. Zu diesen gehört die Melonen-Rinde, wenn die Materie heiss ist, und weisser Vitriol, wenn dieselbe kalt ist.
Von den Blut- Adern, die bei Augen-Erkrankungen zum Aderlass gewählt werden, ist zunächst die cephalica zu erwähnen. Danach die Venen, welche in den Gegenden des Kopfes ver- laufen. Diejenigen, welche vorn gelegen sind, helfen am besten, wenn man die Materie versetzen will. 7 Die hinten verlaufenden helfen besser, wenn man jene heranziehen will. Und wisse, dass dasjenige, was von Materien am Auge <(entsteht), auch der Fort- schaffung aus letzterem nach einem andren Gliede hin bedarf. Und in diesem Falle ist die Nase8 das Organ, nach dem hin man am besten ableitet, und zwar, wenn sie nicht auf dem Wege des Ergusses zum Auge liegt. Diese Ablenkung geschieht nur durch die Schnupf- und Riech-Mittel, die wir schon an andren Orten erwähnten, als wir von dem Heilplan gegen Kopfschmerzen sprachen.
Von den ^örtlichen) Mitteln des Auges9 aber sind einige, welche die Mischung ändern. Sie wirken kühlend, wie der Saft der Fuchs-Traube (des Nachtschattens) und des Hirten-Stabs und Cichorien-Wasser und Saft des Lattich und Rosen- Wasser und Saft der letzteren und der Schleim des Flohkrauts. Andre er- wärmen, wie Moschus und Pfeffer und Kalmus und Schöllkraut. Andre haben eine austrocknende Wirkung, wie ^weisser) Galmei und Antimon und gelber Galmei. Andre sind stark zusammen- ziehend, wie die Salbe aus Schöllkraut und Aloe und Kreuz- dorn und Safran und Rosen. Und andre sind lindernd wie Milch und Mandel-Milch und Eiweiss und <Pflanzen-)Schleim. Und andre sind reifend wie Lilien, und Bockshorn- Wasser und
7 Ueber Aderlass bei Augenleiden s. Hippokr., Sprüche, VI, 31, C eis. VI, 6, Galen' s Comment. zu Hippocr. (XVII a, S 45), Aet. c. 8 (S. 18). Vgl. Gesch. d. Augenheilk. im Alterth., S. 75.
8 Hippokr., von den Volkskrankh., VI, II, 16; von den Orten § 13, Galen XVlIa, S. 965. Vgl. Gesch. d. Augenheilk. im Alterth., § 40.
9 Vgl. Galen, von d. örtlichen Mitteln, IV (B. XII, S. 699), Paul. Aeg. VII, 16 u. A. — Gesch. d. Augenheilk. im Alterth., § 148.
24 Augenheilkunde des Ibn Sina, erster Abschnitt.
Safran- Wasser und eingekochter Wein, besonders derjenige, in den Brot getaucht worden. Andre sind auflösend, wie per- sisches Gummi und Fenchel- Wasser. Andre sind betäubend, wie der Saft von Liebes- Aepfeln (Mandragora), und der des Mohns und das Opium.10
Und wisse, dass, wenn mit Augen- Erkrankungen Kopf- schmerz verbunden ist, du mit der Behandlung des letzteren zu beginnen hast; nicht heile eher das Auge, bevor du (diesen) vertrieben hast. Und, wenn Entleerung und Reinigung und passende Behandlung nicht helfen wollen, so wisse, dass dann im Auge eine kalte Mischung vorhanden ist, oder eine üble Materie in seinen Hüllen eingeschlossen ist, welche die Nahrung, die in's Auge dringt, verdirbt; oder doch eine Schwäche im Gehirn vorliegt oder an einem andren Orte, aus dem Säfte in's Auge getrieben wrerden. Und merke dir diese Dinge.
Fünftes Kapitel.
Ueber die Erhaltung der Gesundheit des Auges und über das, was ihm schadet.1
Derjenige, welcher sich Mühe giebt, die Gesundheit des Auges zu erhalten, muss dasselbe vornehmlich vor Staub und
10 Es ist eine Fabel, dass die Araber die schmerzstillenden (betäuben- den) Augenmittel eingeführt hätten. Vgl. Erasistratos und Diagoras bei Dioskurides, m. m. IV c. 65, und Gesch. d. Augenheilk. im Alterth. S. 219.
1 Die Grundlinien der antiken Augen-Hygiene, aus der Ibn Sina (und vor ihm al-Razi, Almans. IV, 22) dieses Kapitel geschöpft hat, be- sitzen wir in des Oreibasios Synops. V, 27 (B. V, S. 222) und fast wörtlich damit übereinstimmend bei Paul. Aegin. (I, 31). Jlgbg ä/lvv ofifittTCüv. "Oncog de fii) d/^vv e/r] xa ö[i(AaTa, öze dvvovai xazct vdaiog ipv/QOv, (jkxxqov avaßlenuv' nQOudidoxai ydg tv&ev la/vg TJj dqüaec firj Itlnsa&ai de firjöe ävayvüaecog iöv ye etineiQOv. Kai dvaoQaxa ßiaLeu&axjav ßlenetv, vcpo- QÖKT&coaav de olvov xov na/vv xai ykvxvv xai TQO<pag öaat, äv(o nolv [tevovtn, xai oaat övanemoi xai vyqa yevvaxjiv dqya xai na/da, xai t« evCcopa xai t« 7iQ<x(j(x, xai nävxa a>v fj ÖQifivirjg avco cpeqexai. @vXä<T<jecr&ai de xai xaxä- xhaiv vnxiav eni fiaxqbv, xai xqvog, xai dveftovg xovg evavxiovg xai xanv'ov xai xoviv. 'Eyxsiv de xoig 6q>&al[ioig exäaxrjg rjfiegag cbde nenotrjfievov vdcoq ' eni pyva xai ijfxeqav paQa&Qa ßälkeiv /Icoga elg äyyog xeqafieovv e^a&ef
Fünftes Kapitel. Ueber die Erhaltung der Gesundheit des Auges etc. 25
ßauch schützen, vor Luftzug, der von dem Mittelmass zwischen Wärme und Kälte abweicht, vor Winden, die rauh und kalt und samum- ähnlich sind.2 Auch soll man nicht verharren im An- schauen eines einzelnen Gegenstandes, ohne sich abzuwenden3; das Hinblicken auf feine Dinge werde eingeschränkt, — es er- folge denn bisweilen, auf dem Pfade der Uebung. Der Schlaf auf dem Hinterkopf soll nicht verlängert werden. Und wisse, dass die zu häufige Ausübung des Coltus zu den für das Auge schädlichsten Dingen gehört; ebenso zu häufige Berauschung und Ueberfüllung mit Speisen; und auch der Schlaf bei über- fülltem Magen; und ebenso alle dicken Speisen und Getränke und alles, was Dunst zum Kopf emporsteigen lässt. Zu dem letzteren gehört alles, was scharf ist, und Dreiblatt; und alles, was übermässig austrocknet, wozu auch ein Uebermass von Salz gehört; und alles, was viel Blähungen erzeugt, wie Kohl und Linsen: und alle diesen verwandte Dinge, die wir in den Kapiteln über die einzelnen Mittel angeführt haben, sind schädlich für die Augen. Und wisse, dass eine zu lange Ausdehnung eines jeden von den beiden <(Dingen), nämlich einerseits des Schlafes, andrerseits des Nachtwachens, dem Auge sehr schädlich ist; nützlich ist ihm die Mässigung in jedem von beiden.
Die Mittel aber, deren Anwendung dem Auge nützt und die Sehkraft erhält, sind diejenigen, welche aus Antimon und Galmei bereitet werden, wie z. B. Präparate aus Galmei, mit Majoran- und Bockshorn -Wasser hergestellt; jeder Zeit <ange-
ttIcfcfj] xs/QKjfievov xal vday öfißgiov, eneiw anoxeifievov e/ecv egelöfievov t« fxägn&Qa. (Bei Oreib. wie bei Paul, steht der Punkt nicht nach vöcoq, sondern nach r^iqav, wodurch der klare Sinn dieser Vorschrift vollkommen getrübt wird, was schon der Uebersetzer des Paul., Cornar. , richtig er- kannt hat: Fenchel wird auf 31 Tage eingelegt, das Fenchel-Wasser aber täglich angewendet, zur Stärkung der Sehkraft.) Ueber ö^vöoqxlxccI dvväfXBig vgl. Galen, XI, S. 778 und XII, S. 725, 779 u. a., ferner Gesch. d. Augenheilk. im Alterth., S. 216 und S. 81 (Augen-Diätetik der Hippo- kratiker) und S. 358 (Prädispos. z. Augenleiden).
2 d. h. giftig. Ueber den vermeintlichen Einfluss des Chamsin in Aegypten aut die Augen-Entzündung vgl. Hirschberg, Aegypten, S. 113.
8 [Und man hüte sich vor zu vielem Weinen] scheint ein Ein- schiebsel zu sein, da es hier den Text unterbricht, später an passender Stelle wiederholt ist.
26 Augenheilkunde des Ibn Sina, erster Abschnitt.
wendete) Umschläge mit Bockshorn- Wasser sind wunderbar und ausserordentlich nützlich ; auch ein Umschlag aus süssen Granaten wirkt wunderbar, und ein Umschlag, der aus beiden Arten des Granat- Apfels4 bereitet wird mit seiner Pulpe, die man im ge- schlossenen Ofen mit Honig gekocht hat: wie du es an seiner Stelle noch erfahren wirst. Zu denjenigen Mitteln, welche das Auge reinigen und schärfen, gehört das Untertauchen des Auges in reines Wasser und das Oeffnen des Auges in demselben.
Aber zu den Dingen, welche der Sehkraft schädlich sind, gehören einerseits (gewisse) Verrichtungen und Bewegungen, andrerseits (gewisse) Speisen, endlich Besonderheiten im Um- gehen mit Speisen.
Zu (jenen) Verrichtungen und Bewegungen gehört alles, was austrocknet, wie zu häufiger Coltus und zu langes Be- trachten leuchtender Gegenstände und das Lesen zu feiner (Schrift) in übertriebener W7eise, — denn das Mass darin ist zuträglich, — und endlich die Handhabung feiner Dinge; ferner auch der Schlaf bei überfülltem Magen und gleich nach dem Essen. Vielmehr soll der Sehschwache warten, bis er verdaut hat, und dann erst sich zum Schlaf anschicken. Und alle Ueber- füllung schadet ihm, und alles, was seine Natur austrocknet, schadet; und alles, was das Blut trübt, sei es von den salzigen Dingen oder den scharfen oder andren (ähnlichen), schadet ihm. Auch der Rausch ist ihm schädlich. Das Erbrechen aber nützt ihm, insoweit es den Magen reinigt; und (andrerseits) schadet es ihm, insofern es die Materien des Gehirns in Be- wegung setzt und sie zu (dem Auge) hintreibt. Und, wenn es durchaus erfolgen muss, so soll es nach der Nahrungs(- Aufnahme) und ohne Anstrengung geschehen. Auch das (häufige) Baden schadet ihm, und Schlaf im Uebermass schadet ihm, und heftiges Weinen, und häufiges Aderlassen und besonders ununterbrochenes Schröpfen.
Von den Speisen aber sind es die salzigen und scharfen und dunstigen, und diejenigen, welche den Magenmund verletzen, wie Lauch und Zwiebel, Knoblauch und Basilien- Kraut und reife Oliven und Dill und Kohl und Linsen. Aber die richtige Art
4 dem süssen und dem sauren.
Sechstes Kapitel. Ueber die Augen-Entzündung und Reizung. 27
beim Essen besteht darin, <(die Speisen) so zu verzehren, dass ihre Verdauung nicht gestört, oder ihre Gas -Entwicklung ver- mehrt werde, wie ich es an seiner Stelle erörtern will. Ich werde bald darauf kommen und du wirst es noch in den Ab- handlungen dieses dritten Buchs erfahren.
Sechstes Kapitel. Ueber die Augen-Entzündung und Reizung.1
Es giebt einerseits eine echte Augen-Entzündung, und andrer- seits eine ihr ähnliche, Eeizung des Auges genannt. Die letztere besteht in einer Erhitzung und Durchfeuchtung; und sie er- wächst dem Auge aus äusseren Ursachen, die dasselbe reizen und röthen, wie z. B. die Sonnenstrahlung [und brennender Kopf- schmerz und hitziges Eintagsfieber] und Staub und Rauch und Erkältung zu gewissen Stunden, wegen der Zusammenschnürung des Auges; und des Schlages, durch den es gereizt wird; und durch Sturmwind, durch den es gestossen wird. Aber der leichte Eindruck von allem diesem ist innig verbunden mit der Ursache und bleibt nicht lange nach der letzteren und muss mit Rück- sicht auf dieselbe behandelt werden. Und selbst, wenn dies gar nicht behandelt wird, hört es doch auf mit dem völligen Auf- hören der Ursache, — wenigstens in vielen Fällen.
Griechisch heisst das Leiden tarachsis. Wenn aber noch eine im Körper belegene oder auch eine äussere Ursache jene erste materielle <(Ursache ihrer Entstehung) weiter unterstützt,
1 Aus dem griechischen Kanon der Augenheilkunde. Die Ueber- schrift des entsprechenden Kapitels bei Paul. Aegin. (III, c. 22, § 2) lautet fast wörtlich ebenso: neql TctQai-ecog xai idicog öy&aXfiiag. Vgl. Aet. , c. III (S. 6) neql TctQÜ^eoig. Tagäacrco heisst rütteln, schütteln, verwirren. Täqa^ig bedeutet bei den Griechen eine Störung des Auges, die nicht von dem inneren Zustand des Körpers, sondern von einer äusseren Ursache bedingt wird. Das arabische Wort „takaddur" bedeutet wörtlich die Trübung. Uebrigens citirt Ibn Sina ausdrücklich das griechische Wort. Freilich vermögen wir kaum einzusehen, wie Kopfschmerz und Eintagsfieber zu den äusseren Ursachen gehören sollen; sie fehlen auch bei den Griechen. Ob wir aber berechtigt sind, sie als unechte Einschiebsel aus dem Text zu entfernen, muss zweifelhaft bleiben. — Nach den alten Auslegern (Gent iL, Jacob.) wären beide ihrerseits von äusserer Ursache (Ueberhitzung) abhängig.
28 Augenheilkunde des Ibn Sina, erster Abschnitt.
dann ist es möglich, dass sie sich schnell umwandelt in eine offenbare und echte Entzündung2, wie sich ja Eintagsfieber in andre Fieber umwandeln. Wenn sie sich nun umwandelt und noch im Beginn der Umwandlung begriffen ist, wird sie griechisch Aquikama3 genannt. Und hinsichtlich der Arten der Augen- Entzündung giebt es eine, welche der Augenkrätze (Trachoma) folgt. Ihre Ursache ist das Stechen des Auges und sie verläuft im Anfangs-Stadium, wie die Reizung; ihre Heilung erfolgt nur nach dem Massiren der Krätze.
Die (eigentliche) Augen -Entzündung ist wesentlich eine Entzündung in der Bindehaut.4 Zu ihr gehört die (Form), welche nur eine einfache Entzündung darstellt, die nicht die Grenze überschreitet in Bezug auf Schwellung der Blutadern und Thränenfluss und Schmerz. Es giebt noch eine andre Art; diese ist gewaltig, überschreitet die Grenze in der Ausdehnung, wobei sich das Weisse (der Bindehaut) über die Pupille erhebt und sie bedeckt und den Lidschluss hindert: sie wird Chemosis5 ge- nannt, bei uns aber heisst sie alwardinag. Sehr häufig befällt sie die Kinder wegen der Menge ihrer Materie und der Schwäche ihrer Augen.6
Und (die Augen - Entzündung) entsteht nicht blos aus heissem Stoff, sondern auch aus schleimigem und aus schwarz- galligem. Und, da die echte Ophthalmie eine Entzündung dar-
2 Galen (5. Comment. zum 6. Buch der Volkskrankh., 13) erklärt, dass die Reizung ein Anfang der echten Augen-Entzündung sei. Der Ge- danke Ibn Sina's ist nicht so übel. (Die Reizung ebnet den Weg für die Infection.)
3 Hier muss ein Schreib -Fehler im arabischen Text (oder ein sprach- licher Irrthum des Ibn Sina) vorliegen. Weder inutavfm noch inicpoqä ist zulässig. Im Aet. folgt auf öeoanela Tccoctgecog allerdings &eoaneia eni- nolalov qjleyfiovrjg. Das würde dem Sinne nach passen.
4 Galen, Heil-System, II, c. 1: dy&ai.fiia r) tov (JncynecpvxÖTog vpevog tcö xeyaioeidei cpXeyfiovrj. (Vgl. Galen, örtl. Arzneimitt., IV, 2.)
5 Genau nach dem griechischen Kanon (Demosthenes). Vgl. Gesch. d. Augenheilk. im Alterth. S. 373, woselbst der griechische Text aus Paul., (Oreib. Akt., Nonn., Galen [?]). XrjfiuaLv Xeyovaiv, öxav vnb cpley^ovTJg iv/voag u^cpöieqa xa ßXecpaoa. ixiQanjh wg fiöXig vn aviwv Tovg öqp&al[iovg xodv7iT6a&ai, Y.ai xb levubv tov oqp&ak/jiov (iszscüqÖisqov tov (iskavog yevrjTtti xai eov&obv y.al nolvfisgcog endafißävi] tov fiekcevog.
6 Vgl. Aet., c. 44 (S. 105); Gesch. d. Augenheilk. im Alterth., S. 397.
Sechstes Kapitel. Ueber die Augen-Entzündung und Reizung. 29
stellt, nicht in der Pupille, sondern vielmehr in der Bindehaut; und jede Entzündung entweder vom Blut7 herstammt oder von der Galle oder vom Schleim oder von der schwarzen Galle, oder vom Wind: so ist der Grund der Ophthalmie verknüpft mit einer jener Ursachen. Bisweilen erzeugt sich die ent- zündende Feuchtigkeit (Mischung) im Auge selber, zuweilen kommt sie ihm zu vom Gehirn auf dem Pfade des Katarrhs, längs des Wegs der äusseren Hülle, die den Kopf bedeckt, oder längs des Wegs der inneren Hülle; und vornehmlich vom Gehirn und seinen Gegenden. Denn, wenn im Gehirn viele Stoffe sich anhäufen, und Ueberfüllung <(besteht): dann entgeht das Auge kaum einer Entzündung, wenn es nicht sehr stark war.8 Bis- weilen sind es die Arterien, welche ihren Ueberschuss in's Auge ergiessen, sobald sich in ihnen ein solcher angehäuft hat, seien es die inneren, seien es die äusseren.
Bisweilen kommt aber der Stoff nicht von einem Theil des Gehirns und des Kopfes <in's Auge), sondern von einem Theil der andren Glieder, besonders wenn schon eine schlechte Mischung das Auge befallen und es geschwächt und anfällig gegen Schädlichkeiten gemacht hatte. Und dann ist es das Auge, in welches sich diese Ueberschüsse ergiessen.
Bezüglich der Arten der Ophthalmie giebt es eine, welche Perioden und Wechsel hat, nach der Periode des Ergusses der Materie und nach der Periode der Erzeugungs-Zeit derselben.
Die Heftigkeit des Schmerzes9 bei den Augen-Entzündungen hängt ab entweder von einem beissenden Stoff, welcher die Häute zernagt, oder von der Menge desselben, welche <jene> ausdehnt; oder von einem dicken Dunst: und je nach ihrer Ver- schiedenheit besteht Verschiedenheit im Schmerz. Die Stoffe
7 Galen, Heil-System, XIII, c. 4.
8 Galen, Commentar zu den Sprüchen des Hipp okr., III, 5 (B. XVII b, S. 569).
9 Galen, Heil-System, XIII, c. 22 (B. X, S. 934). rjwi yag diä to düxvea&at ayodQüJg ex xrjg t(üv iniqqeövTOJv dQLfxvzrjTog, tjzoi öia to Teivea&ca nenlrjQCüfievovg zovg xircövceg avicov rj oV evwaiv uvct na/ecov vy^uv rj nvev- H<xtü)v yvacüdüjv ödvvai yivoviai aqpodQai xctxu <^iovg öcp&aXuovgy. Vgl. Orei- bas., Uebersicht, VIII, 41 (B. V, S. 445, woselbst tvaiaaiv statt tviuviv) und Gesch. d. Augenheilk. im Alterth. S. 340.
30 Augenheilkunde des Ibn Sina, erster Abschnitt.
der Augen-Entzündung stammen, wie du weisst, entweder aus dem Körper im allgemeinen oder aus dem Kopf im beson- deren oder aus den Adern, welche schlechten Stoff zum Auge führen, warmen oder kalten. Bisweilen liegen sie im Auge selber, und zwar wenn die Häute des Auges eine Verderbniss ihrer Mischung befällt, wegen einer Flüssigkeit, die in ihnen zurück- gehalten wird, oder wegen einer Ophthalmie, welche lange Zeit über dieselben Gewalt hatte, und das Ganze, was dem Auge an Nahrung zufliesst, zur Verderbniss wendet.
Derjenige, dessen Augen glotzen, ist empfänglicher für eine starke Augen -Entzündung und Anschwellung10, wegen der Feuchtigkeit der Augen selber und der Eröffnung ihrer Poren. Bisweilen nehmen kalte Thränen überhand in einzelnen Arten der Augen-Entzündungen, wegen des Fehlens der Reifung; und oft löst sich die Augen-Entzündung mit dem Durchfall.11
Und wisse, dass die Bösartigkeit der Augen - Entzündung von der Beschaffenheit des Stoffes abhängt, und die Grösse der ersteren von der Menge des letzteren.
Und wisse, dass in südlichen Gegenden die Augen-Ent- zündung häufig ist12 und schnell verschwindet. Dass sie aber
10 Eine richtige Beobachtung.
11 Hippokr., Sprüche, VI, 17. 'Ocpx^alfiiwvxt vnb öiaqooiag Xrjy&TJvou äya&öv. Vgl. Koi'sche Vorhersagen, VIII, 220 und die sogen. Augenheilk. des Alex. Trall. Vgl. ferner Gesch. d. Augenheilk. im Alterth., § 40, § 68, § 227. — Wegen der kalten Thränen vgl. Aristot. n, 31, 23.
12 Diese Stelle (und die vom Uebergang der Augen-Entzündung von einem Menschen zum andren, Kanon, 1. I, Fan 2, doctr. I, c. 8) hat C. Graefe in seinem Werk über die Augen-Entzündung Aegyptens (Berlin 1823, S. 60) und noch ausdrücklicher Fl. Cuvier (Bruxelles 1847) und sein Landsmann Dutrieux (le Caire 1878) benutzt, um zu behaupten, dass Ibn Sina die allgemeine Verbreitung der Augen-Blennorrhöe im Morgenland und besonders in Aegypten und ihre Contagiosität treff- lich erörtert habe. Dagegen hat der eine von uns in seinem Büchlein Aegypten (Leipzig 1890, S. 95) nachgewiesen, dass diese Stelle des Ibn Sina aus Hippokrates, von der Luft und den Orten, c. 3 und 4 ent- nommen ist: "Hug fiev nölig ngog xa nvevfxaxa xeexat xa &BQ[ia . . . oqj&al-
[tiai xe tyyiyvovxai vyQai xai ov y^lenal, öhyoxQÖvioi. 'Oxöaai d' avn-
xeovxat xovxcov nQog xa nvevfxaxa xa. ipv/qa . . . oy&alfilag de ylvea&ac fiev öca xgövov, yivea&cu de axkrjQag xal ia/vQÜg, xal ev&ecog Qr/yvvcr&ai xa öfi- /uara. Vgl. Gesch. d. Augenheilk. im Alterth. S. 71.
Sechstes Kapitel. Ueber die Augen-Entzündung und Reizung. 31
häufig bei diesen (Menschen) auftritt, ist Folge des Fliessens der Materien und der vielen Dünste der letzteren. Dass aber die Heilung <der Augen- Entzündung) bei ihnen schnell erfolgt, liegt an der Weite der Poren ihrer Glieder und an ihrer Neigung zum Durchfall. Wenn plötzlich Kälte sie befällt, wird die Augen- Entzündung schlimm, wegen des Hinzutretens einer äusseren Ursache, welche die strömende Bewegung der entzündungs- erregenden Säfte hindert und hemmt.
In kalten12 Gegenden aber und zu kalten Zeiten verringert sich die Augen-Entzündung der Zahl nach, aber sie ist schlimm. Ihre Seltenheit unter diesen Umständen ist eine Folge der Ruhe der Säfte und ihrer Gerinnung. Ihre schlimme Beschaffenheit hingegen kommt daher, dass die Säfte, wenn sie in dem Organ vorhanden sind, sich nicht schnell ausscheiden wegen der Ver- engerung der Gänge; sie dehnen sich daher gewaltig aus, bis es geschieht, dass von ihnen die <TJmhüllungs-)Haut des Auges gesprengt wird.12
Wenn nördlicher Winter13 voraufgeht, und ihm südlicher Frühling folgt mit reichlichem Regen, und ein Sommer mit warmer, trüber Luft; so vermehrt sich die Zahl der Augen- Entzündungen.
Und ebenso, wenn der Winter warm13 ist und südlich, so füllt er den Körper mit Feuchtigkeiten; und, wenn dann ein nörd- licher Frühling folgt, so bewirkt er Zusammenziehung. Und ein nördlicher Sommer vermehrt die Augen-Entzündungen, besonders nach einem südlichen Winter.
Zuweilen vermehrt sich die Augen- Entzündung auch im
13 Auch diese Sätze beruhen "auf Hippokrates, von der Luft und den Orten, c. 10: *Hv de 6 fxev /eifAuv avx^Qog xai ßoqeiog ysvrjzat, to de r/Q enofißqov xai vöuov, ävayxr] to -freoog nvgeicodeg ylvea&cti xai öqp&alfilag xai dvaevTeolag epnoieiv . . . ™Hv <5' 6 [iev /eifiiov vöuog yevrjTai xai enofA- ßqog xai evötog ... to de i]Q ßöqeiov xe aal avx{irjobv xal /etfAeoivov, övaev- Teqiag xal öq)&al(.ung tgrjqäg . . . Aehnliche Sätze stehen in den Sprüchen des Hipp o kr. (Aphor. III, 11, 13, 14, 16, 21). Der letzterwähnte Satz lautet: „Zu den Sommer-Krankheiten gehören . . . Augen-Entzündung. " Niemand wird den Zusammenhang zwischen den Aussprüchen des Hippo- krates und denen des Ibn Sina leugnen können. Vgl. Gesch. d. Augen- heilk. im Alterth., S. 71, 72. — Vgl. auch Aristot. n, I, 8 flg.
32 Augenheilkunde des Ibn Sina, erster Abschnitt.
Sommer, wenn sein Frühling südlich war, und der Winter trocken und nördlich.
Und du musst vergleichen harte Körper mit nördlichen Ländern und weiche, lockere Körper mit südlichen Gegenden.14
Wie heisse Gegenden Augen-Entzündung verursachen, ebenso muss ein sehr heisses Bad, wenn der Mensch es beschreitet, zweifellos Augen -Entzündung bewirken. Und wisse, wenn eine Augen - Entzündung besteht, und die Störung des Auges ver- harrt trotz der richtigen Behandlung und der starken Abführung, dass dann die Ursache ein Stoff ist, der im Auge zurück- gehalten war, und seine Ernährung verdirbt, und ein Katarrh aus dem Gehirn und dem Kopf, nach alledem, was wir schon in dem vorausgeschickten erklärt haben.
Siebentes Kapitel. Von den Symptomen (der Augen-Entzündung).
Wisse, die Schmerzen1, welche die Augen befallen, sind entweder beissend und nagend oder spannend. Und zwar be- deuten die beissendeü eine Verderbniss der Beschaffenheit des Stoffes und Schärfe desselben, und die spannenden deuten auf grosse Menge des Stoffes oder auf den Wind.
Am schnellsten verläuft diejenige Augen-Entzündung, welche die reichlichsten Thränen besitzt und das schärfste Beissen; und am langsamsten die trockneste. Der Eiterfluss des Auges ist ein sicheres Zeichen der Reife und der Eindickung des Stoffes.2 Denn derjenige AugenÜuss, welcher rasch ist, bei
14 Ein naiver Versuch des Arabers, pathologische Erscheinungen phy- sikalisch zu erklären.
1 Vgl. das vorige Kapitel und die daselbst in Anm. 9 angeführte Stelle aus Galen' s Heil-System.
2 Galen, von den Zeiten der Krankheit, c. 3 (B. VII, S. 447): Ovzco de xav zaig ocp^aX^ilaig ev aq/fj f^^v anoqqet nolv xal Xenzbv, unenzov ixavag' ecpe^rjg de elazzöv ze xal na/vzeqov , vnoyQacprjv ztva netpecog Xcefi- ßävov etza ev zco /QÖvco nqoiövzi, zov fiev nlrj&ovg fxeiovfievov, zrjg de avazä- crecog enl zb naxvzeqov lov(jr]gy avt-ävezai zä zrjg nexpeejg eig zoaovzov, wc xal xoXlacr&ai zä ßlecpaqa xoifirj&evMöv vno zrjg yevo(ievrjg lrjfir]g . . . Vgl. Hippokr., von der alten Heilk., c. 19.
Siebentes Kapitel. Von den Symptomen (der Augen-Entzündung). 33
sonst leichten Symptomen, abgesehen von der Schwere (des Auges), ist bezeichnend für die Dicke des Stoffes. Jener, der sich der Reife zugesellt, und anfangs eine kleine Zeit hin- durch mit Leichtigkeit des Auges verbunden war und der schnell sich löst, das ist der gepriesene.
Derjenige, dessen Schuppe klein ist, deutet weniger auf G-üte des Auges3; Feinheit der Schuppe bedeutet Verzögerung der Reife.
Wenn die Augenlider zu verkleben beginnen, dann steht die Reife schon nahe bevor; ebenso wie, so lange wässriger Fluss andauert, erst das Anfang -Stadium besteht. Ferner be- merken wir, dass die Augen -Reizung erkannt wird an ihrer eigenen Geringfügigkeit und der ihrer Ursache und dem Fehlen der augenscheinlichen Entzündung. Aber die echte Augen- Entzündung, welche mit dem Kopf in Zusammenhang steht4, wird gekennzeichnet durch Schmerz und Schwere des Kopfes. Wenn nämlich der Zufluss-Weg aus dem Gehirn nur vermittelst der äusseren Umhüllungen des Kopfes besteht, so ist die Stirn gespannt, und die äusseren Blut- Adern sind stark gefüllt; und ähnlich beginnt auch die Schwellung auf die Augenlider über- zugehen, und auf der Stirn ist Röthung und Pulsation wahr- zunehmen. Wenn aber vermittelst der inneren Hüllen, — dann ist nichts von dem zu sehen; aber Niessen tritt auf und Jucken an der Nase und am Gaumen.
Wenn (die Augen-Entzündung) mit Betheiligung des Magens besteht, so gesellen sich Uebelkeit und Störung (des Magens) hinzu ; und als Zeichen davon findet sich Flüssigkeit im Magen.
Die vom Blut herstammende Augen -Entzündung 5 wird
3 Galen, B. XVII a, S. 95: Xr/fjiia fiixQcc, pöyig txnimovaa. Vgl. Gesch. der Augenheilk. im Alterth., S. 70, Anm. 1.
4 Hippokr., von der Luft und den Orten, c. 13 (Littre, VI, S. 298): Wenn der Fluss von dem Kopf in die Augen geht, entzünden sich die- selben. Aehnlich Hippokr., von den Drüsen (Littre, VI, S. 294; VIII, S. 556); Galen, Heil-System, XIII, c. 22 (B. X, S. 939). Vgl. Gesch. d. Augenheilk. im Alterth., S. 68 und 285 (Cels.) und 340 (Galen).
5 Die ausführliche Erörterung der von den vier Haupt-Dyskrasien der alten Griechen herrührenden, vier verschiedenen Formen der Augen- Entzündung hat Ibn Sina zweifellos aus griechischer Quelle. Aus wel-
Ibn Sina. 3
34 Augenheilkunde des Ibn Sina, erster Abschnitt.
gekennzeichnet durch die Farbe des Auges, die Schwellung der Blut- Adern, durch Pulsation in den Augenwinkeln und die übrigen Zeichen von Blut an den Theilen des Gehirns und durch <(die Thatsache), dass das Auge nicht viel thränt, sondern Schleim-Absonderung erleidet und im Schlaf verklebt.
Die von der Galle6 herrührende {Augen - Entzündung) kennzeichnet sich durch heftige Stiche, brennende und heftig entzündliche Schmerzen, durch geringe Röthung und durch dünne, hitzige Thränen. Zuweilen kommt es (dabei) zur Geschwürs- Bildung. Zuweilen befreit sich (das Auge) von den Thränen vermittelst einer blutigen Ophthalmie. Die Augen verkleben nicht beim Schlaf. Zu dieser Art gehört auch ein Erysipel7, welches das Auge befällt, und dies gehört zu den schlimmen Ge- schwüren; und manchmal verbrennt es das Auge und zerstört dasselbe, indem es ein bewegliches und wanderndes Geschwür schafft. Es giebt ausserdem noch eine Art von galliger Augen- Entzündung, die juckende und austrocknende, mit geringer Röthung und geringem Augenfluss. Und (dabei) tritt von der Entzündung selbst nicht eine genügende Quantität zu Tage, an der man kuriren könnte, noch Thränenfiuss ; sie wird durch spärliche, aber scharfe Materie gebildet.
eher aber, ist schwer zu sagen. Jedenfalls lässt sich soviel nachweisen, dass die sogen. Augenheilkunde des Alexand. Trall., die von Pusch- mann 1886 zuerst herausgegeben ist, eine durchaus ähnliche Darstellung enthält, die ihr Verf. eingestandenermassen „den Alten" entlehnt hat: inel ovv ix tuv t6(Jgüqcov yv^idv iau xal to vyielveiv xal to voaetv, änb tovtcov ao^Gjpe&a leyeiv, öncog eanv exaaiov avicov nleovä'Cov je xal illetnov yvcooiCeiv. AiäyvbiGiz Ttjg de' atfiaiog nb']&ovg yivo\ievi]g öqj&al/uilag ... et [iev i£ atjjaiLxov /vfiov, nävitog iveoevd-rjg 6 oyxog icril xal amo/nevco &eQ(jbg xal aq)VfftaTCüdt]g^ a'i ze yleßeg . . . evqvTeoai. (Puschmann, Nachträge zu Alex. Trall. Berlin 1886, S. 185 flg. Vgl. Gesch. d. Augenheilk. im Alterth., S. 357.) — Aehnlich in dem echten Werk von Alex. Trall., A. v. Pusch- mann, II, S. 5.
6 £i](xeia xolüöovg oqp&aXfjlag. Ai]loi de to oVxxywdec Bivni xal öotuv to imyeQÖftevov Totg b\u{.iacn xal avu) aev crvvalo'frrjaLg . . . ovöe xl]v yley- uovtjv a^iöloyov e/ovai. (A. a. 0., S. 164.) Aehnlich im echten Werk des Alex. Trall., II, S. 25.
7 Arab. steht nur Röthung. Es ist aber Erysipel gemeint. Vgl. Galen, von den einfachen Heilmitteln, II, c. 21 (B. II, S. 521): xa&äneq xav TOtg axoißecrii' eovaLnelauiv. ecru de di]nov T«f>T« /o'/.cödrj oevaaia.
Achtes Kapitel. Behandlung der Augen-Keizung. 35
Die vom Schleim8 ausgehende Augen-Entzündung kenn- zeichnet sich durch heftige Schwere und geringe Hitze und schwache Röthung. Vielmehr überwiegt in ihr die weisse Farbe. Und es besteht Absonderung, und Verkleben im Schlaf. Dabei findet sich Aufblähung (Oedem), und Theil nimmt das Gesicht und seine Farbe. Wenn sie vom Magen ausgeht, so gesellt sich Uebelkeit hinzu. Die schleimige < Augen- Entzündung) führt oft dazu, dass bei ihr die Bindehaut wegen der Grösse der Anschwellung über das schwarze hinüberwächst. Dennoch findet sich keine deutliche und ausgesprochene Röthung, noch ist Thränen vorhanden, wohl aber Augenfluss.
Die schwarzgallige9 <Augen- Entzündung) kennzeichnet sich durch Schwere, Abnahme der Röthung und durch Aus- trocknung, durch lange Dauer und geringe Verklebung. Bei der durch Wind verursachten Augen-Entzündung ist nur Auftreibung ohne Schwere und ohne Thränenfluss vorhanden; und zuweilen verursacht die Ausdehnung auch hinzutretende Röthung des Auges.
Achtes Kapitel.
Behandlung der Augen-Reizung.
Bei der Behandlung der Augen -Reizung und derjenigen (Erkrankung), die ihr analog ist, wie die leichte Augen -Ent- zündung, genügt oft die Aufhebung der Ursache1; oder, wenn die helfende Ursache in Ueberfüllung mit Blut oder etwas andrem bestand, mit (hinzugefügter) Entleerung. Bisweilen genügt die Ruhigstellung des Auges und das Einträufeln von Milch und von Eiweiss2 oder etwas ähnlichem. Wenn die Augen-Reizung
8 £rjueia tov tÖ noiovv ai'uov xr\v ocp&aXfiiav euvai cf leyuauy.cüiEQOv elvi {iev y.al uXla nXetaia , to de {irjöev eqvxfqbv eivau neql xa bfifiaia rj xo 7tQÖ(jü)7iov, nXka fxaXXov ßägov? aia&äveafrai . . . (A. a. 0., S. 172.)
9 UeqI ipvyqa? xal £t]Qa; djueXay/ohxrjzy dvffxoaala; . . . qalvoviat de noie Tee ofifinin uaXXov a/goa y.al ßäqov; aiGx^rjai; y.al dvaxivrjaia örjXoi. (A. a. 0., S. 174.)
1 Aus dem griechischen Kanon. Vgl. Paul., III, c. 22, § 2: ötb xai Xvezai TÜ/Ldia /coQi'Cofievrjg trjg aiiia;.
2 Ueber Einträufelung von Milch und Eiweiss hat Galen viele Stellen und Aet. zwei besondere Kapitel (11 und 12).
3*
36 Augenheilkunde des Ibn Sina. erster Abschnitt.
durch einen Schlag verursacht wurde, so träufle man in's Auge warmes Blut einer Taube3, ^genommen) von unter dem Flügel; oder das eines andren <Thieres) oder das des (Kranken) selber. Häufig genügt es, das Auge zu bähen, mittelst eines Schwammes oder mit Wolle, die in Rosen -Oel oder Linsen -Abkochung ge- taucht ist. Oder es werde in's Auge selbst Frauenmilch warm aus der Brust geträufelt4; und wenn dieses nicht hilft, eine Ab- kochung von Bockshorn5 oder weisse Augensalbe.
Aber für die Augen-Entzündung, welche aus Kälte entsteht, passt das Bad6, falls noch keine Anschwellung am Auge besteht, und weder Kopf noch Körper überfüllt ist; und es passt hierfür auch Bähung mit Kamillen- Aufguss, und leichter Wein, 3 Stunden nach dem Essen. Langer Schlaf nach dem Weingenuss gehört zu den Hilfskuren, mag die Augen -Entzündung von der Sonne oder der Kälte oder andren Dingen verursacht sein. Bei der- jenigen Augen-Entzündung, deren Ursache Krätze (Trachoma) ist, und die nur leicht ist, massire man zunächst die Krätze und behandle darauf die Augen-Entzündung; und häufig heilt letztere von selbst nach der Massage der Krätze. Wenn aber die Augen- Entzündung so gross ist, dass sie die Verbindung der Massage-
3 Paul., § 7 (negi vnoacpayiittTCöv) . . . aifian (päaGiyg rj neQtaieQag. Aet., c. 22: «tjua xqvyövog r\ rteQKTisQag. „Von unter dem Flügel" finden wir nicht bei den Griechen, wohl aber bei den Arabern und Arabisten, — noch Benvenuto Cellini wurde so beim Eindringen eines Splitters in sein Auge behandelt. (Siehe Goethe's Werke, Ausg. in 30 B., Stutt- gart 1857/58, B. 23, S. 36.)
4 Galen, von den örtl. Mitteln, IV, c. 3 (B. XII, S. 712) ein wenig anders: Milch einer jungen und gesunden Frau werde aus den Brüsten auf den Wetzstein gedrückt, auf dem das Collyr verrieben wird, damit es noch lauwarm in's Auge geträufelt werden könne.
5 Die wichtige Rolle, welche dieses Mittel {ßovxeqag der Hippokra- tiker, jrjlig des Dioskur. und Galen, foenum graecum des Scribon. Larg., arabisch habb al-hulba) bei den Alten spielte, erkennt man leicht aus Dioskurides, I, c. 124, Galenos (B. X, S. 934 und B. XII, S. 700), Oreibasios (B. II, S. 38), Aet. (S. 938) u. A. Vgl. Gesch. d. Augenheilk. im Alterth., S. 212, Anm. 2.
6 Ueber Bad, Bähung, Wein bei Augen-Entzündung s. Hippokr., Sprüche, VI, 31 und VII, 46; Galen's Commentar dazu (B. XVIII a, S. 45 und B. X, S. 170); Aet., c. 5, 6, 7, 10; Paul. Aeg., III, 22, § 1. Vgl. Gesch. d. Augenheilk. im Alterth., S. 75.
Neuntes Kap. Behandlung aller Arten von Augen-Entzündungen etc. 37
Kur nicht verträgt, so verwende man verdünnende und lindernde und säubernde Mittel, so dass die Augen-Entzündung gehorsam werde und die Verbindung (gleichzeitige Anwendung) der Massage- Kur ertrage.7
Neuntes Kapitel.
Ueber die allgemeine Behandlung aller Arten von
Augen -Entzündungen und von Flüssigkeits-Erguss
in das Auge.1
Die allgemeine Grundregel bei der Behandlung der mate- riellen Augen- Entzündung und Erkrankung besteht in Vermin- derung der Mahlzeiten1 und Verringerung derselben, Auswahl desjenigen, was gute Stoffe erzeugt, Beseitigung dessen, was Gase entwickelt, und dessen, was überhaupt schlechte Verdauung verursacht; ferner in Vermeidung des Coltus1, der Körperbe- wegung, der Salbung des Kopfes und des Weingenusses, und endlich in der Enthaltung von allen sauren, salzigen und herben Speisen und im Beharren bei dem, was von Natur milde ist. Besonders ist auch der Aderlass aus der Ellenbogen -Vene in allen Fällen von Augen-Entzündung passend. Ferner ist darauf zu achten, dass der Blick des Kranken nicht auf weisse und strahlende Körper falle2; vielmehr sei alles, was vor ihm ausgebreitet wird und ihn umgiebt, schwarz oder grün ; und über das Gesicht befestige man ein schwarzes Läppchen3, das vor seinem Auge schwebt; schwarz sei es während des Krankheits- zustandes und blau, wenn es schon besser geht.
Ferner ist es nöthig, dass das Haus, in welchem ein solcher Kranker wohnt, zur Dunkelheit sich neige. Und Schlaf muss man ihm suchen; es ist dies ein gutes Heilmittel. Nützlich
7 Vgl. Galen, von den örtl. Mitteln, IV, c. 2.
1 Paul., III, c. 22, § 5: Ilqog emcpoQav gev^oticov. Jlgog de Tag emqpOQag
TÜJV Q6VfJ,(XTCOV EV OtQ/fj fXSV (XQflÖ'CEL ttdixlci Kttl vÖqonOfJLO. X(Xi TlÜVTCOV (lallöV
(Tvvovalag ano%rj.
2 Galen, vom Nutzen der Theile, X, c. 3, und von den Ursachen d. Symptome, I, c. 6.
3 Aetv c. 33 (nach Demosthenes): qotxog ngacö^QOOv nnganexätjavTCt tw 6q>&aXficp.
38 Augenheilkunde des Ibn Sina, erster Abschnitt.
ist es, dass man die Haare nicht zu lang wachsen lasse, da diese für die Ophthalmie sehr schädlich sind, — es sei denn, dass man ihnen ganz und gar freien Lauf lässt; das letztere ist des- halb besonders rathsam, weil {die Haare) die Feuchtigkeiten aus- trocknen, indem sie dieselben an sich ziehen, zu ihrer Ernährung.4
Wenn der Körper rein ist, und die Mischung, welche die Ophthalmie hervorruft, in den Blutadern entsteht, und nach der Art von dickem Blut ist, und besonders im End-Stadium der Augen-Entzündung — dann ist ein Bad sehr nützlich, damit es die Materie verdünne, sowie das Trinken unvermischten Weines, um sie zurückzutreiben und fortzuführen.5 Das Bad nach dem Abführen ist das beste Mittel, besonders wenn eine Bähung ge- macht worden, die den Schmerz lindert.
Eines von den Mitteln, mit denen man kuriren muss bei der Augen -Entzündung und andren materiellen Erkrankungen des Auges, ist die Erhöhung des Kopfkissens und die Vorsicht gegen sein Herabgleiten. Auch ist es nothwendig, jegliches Oel vom Kopf des Augenkranken fern zu halten6, da ihm dies sehr schädlich ist; auch das Einträufeln von Oel, und selbst von Rosen-Oel, in das Ohr ist sehr schädlich, und häutig vergrössert es die Entzündung des Auges, so dass es sogar die Häute des- selben zusammenschnürt.
Wenn der Stoff von einem Gliede ausgeht, so wird es nöthig sein, das betreffende Glied zu entleeren, und jenen nach der entgegengesetzten Seite hin abzuleiten, durch Aderlass und Klystier und dgl.
Unter Umständen genügt nicht der Aderlass aus der Ellen- bogen-Vene; sondern es wird nöthig, die Schläfen- oder Ohr- Arterie zu eröffnen, um den Weg abzusperren, auf dem die Materie ankommt, und zwar in dem Falle, dass dieselbe auf dem
4 Ibn Shia's Gedanke wird klar aus Galen, vom Nutzen d. Theile, XI, c. 13 (B. III, S. 901): STretdi) yaq i) ix t&v xv^v (^va&vfiiaaig inl tijv xeq>ct)J]v avacpsQeiotL, [lühaTa TOig na/vieooig ctvirjg nsQuioj/jautv sig xqocfip tüv tqlx&v r\ cpvuLg xaiaxQrjiru. — Anders Gentil. in seinem Commentar.
5 Vgl. die Anm. 6 zum vorigen Kapitel und Galen, XVIII a, S. 49: oipov /qrJG&cu nöaei dvpctftsvov xal xevovv ib atjua xal tgj ayödQG) xrjg xtvrj- aecog ixcpQÜTisiv ra£ ivaväcreig.
6 Galen, B. I, S. 125: to de slmov öcp&akfAÜ ((pXeypaivoviiy y.axa)Tix6i>. B. XI, S. 81 : elaiov . . . nols^LOv zaig qev(xniixatg öia&ecrsai.
Neuntes Kap. Behandlung aller Arten von Augen-Entzündungen etc. 39
Wege der äusseren Arterien zum Auge gelangt.7 Wenn man nun die Absicht hat, diese Arterien einzuschneiden; so muss man zunächst das Kopfhaar abrasiren und darauf beurtheilen, welche von allen jenen kleinen Arterien noch die grösste, am stärksten pulsirencl und die heisseste ist: diese schneide man ein. Gelegentlich gelangt man zu ihrer vollständigen Ex- stirpation, wenn sie zu denen gehört, die für gewöhnlich incidirt werden, das sind die kleinen und nicht die grossen. Bisweilen wird jene (Arterie) eingeschnitten, welche auf den Schläfen verläuft; dann ist es nothwendig, dass man sie zu- vörderst unterbinde und dann erst durchschneide, nachdem man, wie schon erwähnt, die Wahl dahin getroffen hat, dass dasjenige Blutgefäss, welches ausgeschnitten wird, das dickste unter den kleinen und das heisseste unter denselben sei. Vor der Durch- schneidung muss man den unteren Theil (des Blutgefässes) mit einem Seidenfaden umschnüren zu einer kräftigen und langen Unterbindung. Den Faden lässt man liegen, dann schneidet man oberhalb desselben ein.
Wenn es zur Gangrän kommt, so ist es rathsam die Liga- tur zu entfernen.8 Die letztere ist überhaupt nothwendig bei einer (schon etwas) grösseren (Arterie); bei einer kleinen aber genügt es, tiefe Einschnitte zu machen, bis alles, was vom Blute darin ist, herausfliesst. — Der Nutzen dieses (Verfahrens) gleicht dem Schröpfen am Nacken und dem Ansetzen von Blutegeln an die Stirn. —
7 Dies entspricht ganz genau der berühmten Stelle aus Galen's Heil-System (XIII, c. 22, B. X, S. 940): dioouovieg wc . . . p/d' inioqeiv . . . zu e^co&ef äyyein . . . %qi) de %vqovvw zi]p xecpalrjv em^ielcög cinzedirai züjv onlaco xal xa&' exäzsoop ovg aqzrjonov xal zcov bv fiezcono) xal (xaioT) zovg xqozäcpovg. ucrat <5' avzcov xreqfiözeqal aoi cpalvovzai zcov ullcov xal {lullov aqv^eiv, exelvag ze\iveiv öcrai de fiuxqai ze etat xal vnb zcp deqfxazt, xav jxeqog
avzcov txie/uvflg . . . üfxeivov eqyäo~>i si de ... cpalvoizö ctol fxeya zb
üyyetov . . . , (icrcpaXecTzeqov avzco ßqö%ov neqißäXlovza nqözeqov ovzcog ix- xönzeiv ih fieza^v. (Vgl. Paul. Aeg. VII, c. 4 neql uqzrjqiozofj,iag). Obwohl jedes Wort von Ibn Sina klar ist, wird der Sinn des Ganzen doch erst aus Galen genügend verständlich. Offenbar hat dem Araber seine Messer- scheu den grossen Wortreichthum abgenöthigt.
3 Hiervon spricht Galen nicht, er räth vielmehr aseptisches Ver- bandmaterial an {vir} dvcrcTrjTiTog).
40 Augenheilkunde des Ibn Sina, erster Abschnitt.
Wenn alles das, was gethan ist, nicht hilft; so mache man einen Aderlass am Schlaf enwinkel und aus den Stirn-Venen. Schröpfköpfe am Nacken mögen als letzte Zuflucht bleiben.
Wenn die Erkrankung sich in die Länge zieht, so ver- ordne man Augensalben, denen man geröstetes Erz beifügt und geröstete Lederbeize (Vitriol), und oft genügt die Einreibung mit Aloe allein.
Wenn sich dann die Augen-Entzündung noch <(weiter) in die Länge zieht und nicht von allem diesem gebessert wird; so wisse, dass in den Hüllen des Auges ein schlechter Stoff sich befindet, welcher die Nahrung, die jenem zukommt, verdirbt.
Dann nimm deine Zuflucht zu solchen Mitteln, wie ab- gewaschener Galmei, gemischt mit lindernden Mitteln, wie Blei- weiss, und goldgelber gewaschener Galmei mit Stärke und einem wenig Gummi.
Manchmal ist eine Brennung auf der Scheitel-Naht9 noth- wendig, damit der Katarrh gehemmt werde; denn manchmal hängt die Hartnäckigkeit (der Augen-Entzündung) ab von der Hartnäckigkeit des Katarrhs.
Wenn aber ihr Ausgangspunkt ist von den inneren Häuten, dann ist die Heilung schwierig, — es sei denn, dass ihre Hei- lung erfolge durch starke Abführmittel, mit gleichzeitiger An- wendung von Umschlägen, die den Kopf stärken, und die für diesen Zweck bekannt sind. Hierher gehört der Umschlag, den man bereitet aus Narde und Rosen und Akazie, mit dem Wasser des feuchten Korianders, und dem Koriander selber, dem feuchten wie dem trocknen, nebst einem wenig Safran; und den man eine bis zwei Stunden auf der betreffenden Stelle liegen lässt und danach entfernt.
Oft werden bei der Ophthalmie Mittel angewendet, welche verstopfen und die Schärfen mildern. 10 Hierher gehören
9 Hippokr., von der Sehkraft, § 1; Celsus, VII, VII, 15; Pauli. Aeg. , III, 22. Hgbg inupoQav QevfiaTCOv. . . . nai xolvgiv x«t« xrjg xoQvyrjg ecog öaieov. Ders. VII, 2: neql Trjg xaxn xr\v xeqxxXqv xavaecog ini tcov 6q>&aXfAi(üvicüv. Vgl. Gesch. d. Augenheilk. im Alterth., S. 143, 269, 402.
10 Ta zdv 8ql[aecov nqavvTtxa xai olov B^KpqotxTixä, Pauli. Aeg., VII, c. 16, nach Galen, von den örtl. Arzneimitteln, IV, c. 1 (B. XII, S. 699).
Neuntes Kap. Behandlung aller Arten von Augen-Entzündungen etc. 41
in erster Linie die verschiedenen Milch -Sorten. n Hierbei ist es nicht zweckmässig, dass das in's Auge Eingeträufelte lange darin verbleibe. Vielmehr muss es bald wieder entfernt und alle Zeit erneuert werden. Auch das Eiweiss12 gehört hierher, welches jedoch nicht erneuert zu werden braucht; wenigstens schadet es nicht, wenn man es eine Stunde lang drin lässt; und hierin ist es der Milch vorzuziehen, ob- wohl die letztere besser säubert. Das Eiweiss vereinigt mit seiner Linderung und seiner Glättung (der Rauhigkeiten)13 den Umstand, dass es nicht fest haftet und nicht die Poren verstopft.14
Auch die Abkochung des Bockshorn 15-Klee vereinigt mit ihrer Lösung und Reifung noch die Wirkung zu ebnen und Schmerzen zu stillen16; ähnlich in seiner Wirkung ist auch Rosen-Oe].
Jedenfalls ist es nöthig, dass in einem Mittel, welches auf das Auge angewendet wird, zumal bei bestehender Augen- Entzündung, keine Rauhigkeit17 enthalten sei, noch die Qua- lität eines bitteren oder sauren oder scharfen Geschmacks; und gut muss es zerrieben werden, bis die Rauhigkeit fort- geht; und, so weit es dir irgend möglich, begnüge dich mit wärmenden Mitteln, die keinen Geschmack18 haben: denn das ist gut.
11 Aet., c. 12.
12 Galen, XII, S. 700; Aet., c. 11.
13 G-alen, a. a. 0., XII, S. 700: vyQÖv xö ev xotg chotg . . . sncdeiyei xäg XQn/vxTjxag.
14 Aet., S. 28: agaioi xovg nögovg.
15 Vgl. Anm. 5 zu Kap. 8.
16 Galen, XII, S. 700: 6 xrjg xrjlecog xv^°? • • • noXXag xcöv öÖvvüjv 8i'cö&6 nqavvsiv.
17 Galen, von den örtl. Mitteln, IV, c. 4 (B. XII, S. 716): exleysa&ai xä firjöefiiav iqyaCöiieva xQa/vxijxot. Galen, von den örtl. Mitteln, IV, c. 1 (B. XII, S. 708): kenTOfi6Q8(TT8Qov. Galen, System d. Heilk., XIII, c. 23 (B. X, S. 937): xai xb keXeiööff&ai ocpödga axgißajg öaa . . . ävafiiyvvxai xoig 6q>&akiMxoig cpaQfiäxoig. Aet. , 8. 28: i) xa>v xoXXvqlcov ovvla öncog av r\ XenTOfiSQrjg . . .
18 Galen, von den örtl. Mitteln, IV, c. 1 (B. XII, S. 705): iäv xe 8()<xxeiav tfiyodvi] nocöxrjxa xaxä ysvaiv // ddfirjv, iäv xe ^rjö' ökcog . . . Vgl. ebendas. S. 707.
42 Augenheilkunde des Ibn Sina, erster Abschnitt.
Bisweilen werden Kopfreinigungen angewendet, welche lindern, und was dahin gehört von demjenigen, was einen Theil der Materie aus der Nase ableitet, und von dem man nicht zu befürchten hat, dass es einen andren Stoff zum Auge hinleitet. Auch Gurgelmittel werden öfters bei der ^Augen-Entzündung) angewendet.
Zu den Hilfsmitteln gehört ferner die Bähung mit lau- warmem Wasser, vermittelst eines Schwamms19 oder eines Woll- (Bausches). Oft genügt deren ein oder zweimalige Anwendung, in andren Fällen muss sie mehrmals {am Tage) angewendet werden, je nach der Stärke oder Schwäche der Augen-Entzün- dung. Und wenn in dem Wasser, mit dem die Bähung gemacht wird, Steinklee- öder Bockshornklee-Abkochung sich befindet, so nützt dies in allerhöchstem Masse.
Zuweilen werden auch zurücktreibende Mittel auf die Stirn gestrichen, besonders wenn der Weg des Ergusses der Materie die äussere Hülle ist. Zu diesen zurücktreibenden Mitteln gehören Schöllkraut und Dornstrauch-Saft (Lycium) und Aloe und Rosen-Samen und Safran und persisches Gummi (Sarcocolla), und Wässer, wie das des Kreuzdorns und des Hirtenstabs, und ähnlich auch Dornstrauch-Saft und Gerstenbrei und Nachtschatten und Quitten.
Wenn aber die Absonderung sehr heiss und dünn ist, wendet man Einreibungen (auf die Stirn) an von stark adstringirender Wirkung, wie die aus Galläpfeln und aus Granatblüthe und Burzeldorn; auch ein Pflaster aus diesen Mitteln, auf die Wege der Katarrhe angewendet, ist sehr wirksam, und zwar wenn die Materie heiss ist.
Wenn die letztere hingegen kalt ist, müssen die ersteren aus solchen Mitteln bereitet werden, welche austrocknen und zusammenziehen und das Organ kräftigen durch ihre Erwärmung, wie Umschläge aus Hollunder, Schwefel und Salpeter.20
Das Auge (selber) muss sorgfältig von seiner Absonderung gereinigt werden durch Milch-Einträufelungen; und wasche es
19 Galen, von den örtl. Mitteln, IV, c. 2 (B. XII, S. 714): nvqla ts XQ>]<jt60v dm anöyyov . . . /<rc«£ rj öle r/}c fifisgag . . . xai iqiq xai reioaxtg . . . y.ctl nleoväxtg . . . dt" ucpeiprj^iaiog jubUXcotov xai r/yAewc. Aet. , c. 10: neQt nvqiag.
20 Es sind dies die drei Bestandteile eines — Schiesspulvers!
Neuntes Kap. Behandlung aller Arten von Augen-Entzündungen etc. 43
(damit) oder mit Eiweiss. Wenn man es berühren muss, so soll dies sanft geschehen.21 Und, wenn die Augen-Entzündung sehr heftig ist, muss man den Aderlass ausdehnen, bis man Ohnmacht zu befürchten hat.22 Denn ein sehr reichlicher Ader- lass heilt die Augen-Entzündung augenblicklich.
Und aufschieben muss man, wenn es irgend angeht, die Anwendung der Collyrien bis zu dreien Tagen23; (bis dahin) soll man sich beschränken auf die angegebene Behandlung mittelst der Entleerungen und der Anziehung der Materie nach den Extremitäten und der Beharrung in dem, was wir von den Orten und Zuständen gesagt haben.
Wenn man dann danach ein Collyr einstreicht, so wird es nicht schaden. Denn oft heilt die Augen-Entzündung schon durch diese Dinge, ohne weitere Behandlung. Nothwendig (dazu) ist allerdings die milde Beschaffenheit der Natur (des Kranken); wo nicht, ist es nothwendig, dass man durch Abführung den das Blut beherrschenden Stoff entfernt, nach dem Aderlass.
Weder Bähung noch Bad gewähren einen Nutzen vor der Reinigung.24 Oft werden jene die Ursache zur Heranziehung massenhaften Stoffs, welcher das Auge sprengt.
Im Anfang25 (der Augen-Entzündung) dürfen keine kräftig eindickenden und stark zusammenziehenden Mittel verordnet werden, weil sie die (Augen-)Hülle eindicken und die Auflösung
21 Galen, System d. Heilk., XIII, c. 22 (B. X, S. 935): äg öu ßala- .xcoiaw. Vgl. Antyll. bei Oreibas., ärztl. Samml., X, 23 (B. II, S. 432 bis 438), Gesch. d. Augenheilk. im Alterth., S. 239.
22 Aet., c. 8 (S. 18): xai Tw/Biav ttjv XetTio&vfxiav yevBa&cu. Dieser Aberglaube galt bis über die Mitte des vorigen Jahrhunderts.
23 Stammt schon aus den Hippok ratischen Schriften (von den Orten, § 13, Littre, VI, 298): rjv de sv&ecog (fkef^pcoai, p) e'yxQts firjöev . . . (Gesch. d. Augenheilk. im Alterth., S. 78.) Der Satz hat einen richtigen Kern.
24 Galen, System d. Heilk., XIII, c. 22 (B. X, S. 931): öeganevcov . . . z«t t«c cpleyiiovag (ribv öcp&cdficör) . . . fii]Ö6vl &aQQ>j(T£Lg zuv diaq)OQr]iix(bi> (paQ/j.äzcov, nqlv rjj xov acüpazog ölov /Qrj(Taa&ai xevöxjst. Galen, von den örtl. Mitteln, IV, c. 1 (B. XII, S. 700): mg öxav ye nqiv xexevtoad-ai itjv X6(f>al})i>, efiQpgaxnxoig xQrjacxLTÖ ng (paquäxoig, ödvvrjv re aq)od<)ui> kqyäaeiou . . . nah vnb tov nlrjd-ovg tiüv iniqoeÖPKjiv vyquv xai noie qijl-iv rj diäßqbicnv avTcov ejtnoiei.
25 Galen, von den örtl. Mitteln, IV, c. 2 (B. XII, S. 713): nuqn- fiiyvvTUi <5' avico xoitu {iev tijv nqütxyv vnüleixpLV tkäxicriöv rt tcov dqifiecov . . .
44 Augenheilkunde des Ibn Sina, erster Abschnitt.
der Materie hindern und den Schmerz verstärken, besonders wenn dieser schon {vorher) heftig gewesen.
Auch jene Mittel, welche schwach adstringiren, genügen im Anfang nicht, um die Materie (vom Auge) zurückzuhalten; und dabei schaden sie durch Eindickung der äusseren Hüllen und machen die Materie in ihnen fest. Wenn etwas davon eintritt, so musst du mit einer Bähung aus warmem Wasser stets zu Hilfe kommen. Die Beschränkung auf die weisse Augen- Salbe, die in Steinklee- Wasser gelöst ist, stellt eine passende Kur da. Denn (ein Mittel,) das noch stärker, als jenes, und mit Füllung des Kopfes verbunden ist, erweist sich oft als schäd- lich. Auflösende Mittel aber sollst du im Anfang der Augen- Entzündung streng vermeiden.26
Bisweilen muss man nach der Anwendung zusammenziehen- der Mittel, und besonders wenn ihnen betäubende beigemischt waren, Einträufelungen in's Auge machen von Zucker- Wasser und von Honig -Wasser. Wenn aber von jenen Mitteln die Krankheit aufgerührt wird, so musst du dieselbe abkühlen, mit einem solchen Mittel, in welchem nicht eine Eindickung vor- liegt, um dem (Kranken damit) zu helfen.
Wie wir schon vorher auseinander gesetzt, stets muss man zart die Reinigung des Auges von der Absonderung vornehmen, wie sie dem Auge nicht schadet. Denn in der Entfernung der Absonderungen beruht häufig eine Linderung der Schmerzen und eine Reinigung des Auges und eine Möglichkeit der Einwirkung von Heilmitteln27 auf das letztere.
Ferner macht häufig die Heftigkeit des Schmerzes die An- wendung von betäubenden Mitteln nothwendig. 28 Hierher gehört
26 Galen, System d. Heilk., XIII, c. 23 (ß. X, S. 939): xa diayogi]- xixa cpägfiaxa, nbföovg ovxog ev oXcp (rcjfxaxt, fiOQiotg xial nqogqteQÖfieva nlrjQOt (luXXov )/ xevot.
27 Das ist ganz richtig.
28 Galen, von den örtl. Mitteln, IV, c. 4 (B. XII, S. 714): XvXoi xiveg . . . xai xag (jqjodyoxäxag oövvag nQavveiv övväfievoi, xa&äneq 6 xov liavdqcLyÖQQv xvXög. Aber ebendaselbst II, c. 1 (S. 533): xa dt* önlov xo)lv- (H« noXXovg eßXaipev, ag . . . dfißXvconlav SQyäacHifrcu. Und System d. Heilk. III, c. 2 (B. III, S. 171): ovdev äXXo e/ovaiv ol noXXol xcov iaxQcov // xavxl xa öS oniov xai fiavdgayÖQOV xai voaxväfiov avvxi&efieva qxxgfiaxa, ^eylfsxr\v Xcoßrjv öy&aX/uLcov. Paul. Aeg., III, c. 22, S. 72, Z. 8: ei de noXXrj xrjg
Neuntes Kap. Behandlung aller Arten von Augen-Entzündungen etc. 45
der Saft des Liebesapfels, des Lattichs, des Mohns und geringe Mengen von Sumach. Vermeide aber diese Mittel, soviel es möglich ist; und, wenn du sie im Nothfall verordnest, so thue dies mit grosser Vorsicht. Wenn du dich begnügen kannst mit Eiweiss, das mit Wasser verrührt ist, in dem Mohn gekocht worden, so thue dies. Vielleicht ist es nothwendig, Bockshorn- klee hinzuzufügen, damit es helfe, die Schmerzen vermittelst der Auflösung zu lindern, überhaupt auflösend zu wirken und den Nachtheil der Betäubung zu beseitigen.
Wenn aber die Materie dünn und fressend ist, so halte ich es nicht für falsch, Opium — und betäubende Mittel — anzuwenden. Dieses bewirkt nämlich Heilung und hat keinen Schmerz im Gefolge: obgleich wir andrerseits annehmen müssen, dass es schadet, insofern es der Sehkraft nachtheilig ist. Aber Opium anzuwenden in Fällen, wo der Schmerz {eben) von fres- sender Materie herkommt, führt eine schnelle Heilung herbei.29
Die Behandlung der beissenden Schmerzen wird geleistet mit klebenden und kühlenden und verdünnenden Mitteln.
Die Behandlung der spannenden Schmerzen geschieht durch Erweichung des Auges und durch Auflösung, mit Hilfe der Mittel, die ich vorher einzeln angeführt, und durch Ver- setzung der Materie.
Wenn aber die Erkrankung chronisch wird, dann ist der Aderlass auszuführen an den beiden Thränenwinkeln und aus den beiden hinter dem Ohr verlaufenden Blut-Adern. Auch muss der, welcher an Ophthalmie, und die, welche am Fluss zum Auge leiden, wie wir schon öfters bemerkt haben, jede Salbung des Kopfs wie Oel-Einträuflung in's Ohr gänzlich vermeiden.
Zur Hauptsache bei der Heilung der Augen-Entzündung wie der Entzündungen überhaupt gehört erstens die Zurück-
oövvrjg ?/ (iväyxrj, y.al önlov [iLxzeov eht/Laiov /(ogig de fxeflcnrjg odvvrjg nagat- TrjxEov tcc vctQxcjTLxct. Ueber die narkotischen Augenheilmittel bei den alten Griechen vgl. Gesch. d. Augenheilk. im Altertb., S. 219. Es ist falsch, dass die Araber jene eingeführt; sie haben dieselben genau so schüchtern angewendet, wie die Griechen. Vgl. noch Kap. 13 u. Kap. 14, 15.
29 Wiederum hat das drastische Mittel dem behutsamen Araber grossen Wortreichtum, d. h. zweimalige Wiederholung desselben Satzes, abgenöthigt.
46 Augenheilkunde des Ibn Sina, erster Abschnitt.
treibung, zweitens die Auflösung. Indessen erheischt das Organ30 an sich ganz ungewöhnliche Zartheit, die darin besteht, dass dasjenige, was zurücktreibt und stopft und verdünnt und auf- löst und reinigt, frei sei von lästiger Berührung, die das Gefühl beleidigt und Rauhigkeiten31 zur Folge hat. Das ist nur zu erreichen, wenn die zusammenziehende Kraft des zurücktreiben- den Mittels gemässigt wird, und das Beissen des auflösenden nicht ^deutlich) hervortritt. Vielmehr ist es vorzuziehen, dass in jenem Austrocknung ohne Beissen enthalten sei, und dass die Heftigkeit seiner Wirkung gemildert werde durch Beimischungen z. B. von Eiweiss32 oder von Frauenmilch, welche aus den Brüsten gedrückt wird während der Verreibung des Collyrs zum Einstreichen (in das Auge).33
Wenn aber die Materie schon entleert ist, und der Schmerz nicht mehr auf der Höhe seiner Wirkung sich befindet, so ver- ordne die sogenannte Eintags-Salbe 34, vermischt z. B. mit Eigelb; und ohne Zögern wird der Kranke an demselben Tage geheilt, und kann Abends in's Bad schreiten.35 Was übrig bleibt, den Rest aufzulösen, dazu gehört z. B. die Augensalbe aus Narde.36 Zuweilen erfordert es die Zeit, dass du ihm am ersten Tage eine Augensalbe anwendest, ein wenig von der styptischen Salbe,37
30 Galen, von den örtl. Mitteln, IV, c. 2 (B. XII, S. 712): nqogedr]- qpevai de xi xai xrjg xov [ioqIov yvcrecog evnä&eiav eS,aiqexov . . . noogedrjcpöxog.
31 G-alen, a. a. 0. : anoxQOvaxixa de naqa'krjnxeov cpäquctxa xa fxi) xqa- yvvovxa x.x.l.
32 Galen, a. a. 0. : tue xb nolv aoxer xb levxbv xov ioov.
33 Galen, a. a. 0.: veag a(xa xai ev/vpov yvva.vz.bg eivon xovxo <(xb fäXa}, xü)i> XLX&cjf sx&hßofiEvcov inl xr)v antovrjv fcqn' >)g unoxqißexac xb xol- Ivqiov, önwg exi yliaqbv iy/erjxai xoig öqp&alfjoig.
34 Galen, a. a. 0. : wc xb nolv aqxel xb Xevxbv xov ioov ... dia xgöp xaXovfievcov [lovorjueqcov xoXXvqicov. (Sie enthalten Akazie, Kupferspähne, gebranntes Kupfer.)
35 Galen, a. a 0., S. 713: (hg sig eaneqap Xovxqco /qijaao'frcii.
36 Galen, a. a. 0.: inl de xrjg vaxeqalng xoj xaXov/aevoj vaqdipcp xoX- Xvqico nqbg ünoxaiäaxaaiv xai xbvuuiv vnaXeiipacr&ou.
37 Die lat. Uebersetzung hat alipstitath, was unverständlich ist, der arab. Text aber al-istiftikän, worin klar aivnxixöv zu Tage tritt, wiewohl ein xoXXvqiov crivniLxöv nicht zu belegen ist. Galen hat a. a. 0.: naqu- yilyvvxai d* avzo) xaiu fiev xr)v nqcoxrjv vnaXetyjtv iXäyiGxöv xt xtoi> öoifieav xai axaXxixcov urofia^ofAevcop, xccxa de xt)v devxeqav ßqayv n xovde nXeiov.
Zehntes Kap. Behandlung d. galligen u. blutigen Augen-Entzündung etc. 47
und am folgenden Tage etwas mehr hinzufügst, und damit wird die Genesung erfolgen.
Wenn die Materie nicht folgt, zur Auflösung, in einer alten Augen-Entzündung, dann wird es vielleicht nöthig sein, dass du etwas gebrauchst, wie den Saft der Eselsgurke und andres, was du ja schon kennst.
Zehntes Kapitel.
üeber die Behandlung der galligen und blutigen Augen-Entzündung und der Röthe (des Erysipels).
Die gemeinsame Behandlung der Augen-Entzündung, deren Ursache gallige oder blutige Materie, ist Aderlass und (Darm-) Entleerung. Denn, wenn die Ursache in heissem, galligen Blut, oder in der Galle allein liegt; so nützt neben dem Aderlass die Darm-Entleerung mittelst einer Abkochung von Myrobal und bisweilen fügt man Turpeth (Abfuhr-Winde) hinzu.
Wenn dabei etwas Dickflüssigkeit (der Absonderung) be- steht, und du erkennst, dass die Hirnhäute mit Materie durch- tränkt sind; so wirst du die letztere verbessern mit dem heiligen Bittermittel. Mitunter kannst du dich in solchen Fällen auf den Aloe-Aufguss beschränken. Wenn Hitze dabei ist, benutzt man zum Aufguss Endivien-Wasser oder Regen- Wasser.
In allen diesen Fällen ist es nöthig, im Anfang einen Um- schlag auf das Auge zu machen mit abkühlenden Mitteln von ausgedrückten (Pflanzen-)Säften, wie z. B. die der Widderzunge oder der Weidenblätter sind, und von Schleim Stoffen, und sie (auch) einzuträufeln; ferner Eiweiss, zusammen mit Eselsmilch oder allein; endlich das weisse Collyr und die übrigen, welche wir unter den zurücktreibenden Mitteln noch erwähnen werden.
Und (vielleicht) wirst du damit nicht die Endursache treffen, durch welche die Häute verdickt und die Materien eingesperrt werden; der Schmerz kann heftiger werden. Und, wenn du
[azahixä, zusammenziehend; aiaiixä, hemmend]. Uebrigens hat schon der latein. Uebersetzer eingesehen, dass Ibn Sina hier mit „dem ersten Tag" von Galen etwas abweicht und diesen Satz eingeklammert: was wir natürlich nicht nachahmen. Das Wort muss stehen bleiben.
48 Augenheilkunde des Ibn Sina, erster Abschnitt.
die Materie fortgetrieben hast durch die Entleerung und durch die Ableitung und durch die Adstringentien , dann wende dich stufenweise zu den reifenden Mitteln. 1 Im Anfang müssen sie mit den Adstringentien gemischt werden: darauf wende sie an. Zunächst sollen sie milde sein, gemischt mit etwas, wie Rosen- Wasser. Auch in den verschiedenen Milch-Sorten wirkt die Kraft der Reifung. In dem Schleim des Flohkrauts wirkt zusammen mit der Zurücktreibung auch eine gewisse reifende Kraft. Der Schleim des Quittensamens besitzt eine noch kräf- tigere Reifung, als der eben genannte. Das Bockshorn- Wasser ist gut zur Reifung und schmerzstillend und verdient mehr, als die andren reifenden Mittel, den Anfang zu machen, und besitzt keine Anziehungskraft. Wenn es nöthig ist, ein derartiges Mittel zu verdicken, so geschehe dies mit den Schleim Stoffen; oder abzukühlen, so geschehe dies mit den Pflanzen-Säften. Bereits erprobt ist der Saft des Baumes, der griechisch Akakia genannt wird und persisch Asech, im Anfang der warmen Augen- Entzündung und (auch) am Ende derselben; er zeigte sich nützlich und von stark specifischer Wirkung. Jene Säfte lässt man bisweilen gerinnen und hebt sie so auf. Hernach gehe über von derartigen Mitteln zur Abkochung von Steinklee, worin aufgelöst ward weisses persisches Gummi, das besonders gepflegt2 ist mit der Milch der Frau und der Eselin.
Wenn die Krankheit anfängt abzunehmen, so füge bei der Anwendung der auflösenden Mittel etwas hinzu, was schon stärker ist, — wie persisches Gummi in Bockshorn- und Fenchel- Wasser und Bähung mit Wasser, in dem Safran und Myrrhe abgekocht sind. Und verordne das Bad, wenn du überzeugt bist, dass das Hirn rein ist, und tränke (den Kranken) einige Stunden nach einer massigen Mahlzeit mit etwas lauterem, kräf- tigem altem Wein, in geringer Menge. Wenn er darauf ein Bad in warmem Wasser nimmt und gebäht wird, so wird das noch nützlicher sein. (Ebenso) auch die Anwendung der Collyrien, welche in der Arzneimittel-Lehre mitgetheilt werden, für den Niedergang und die Beendigung der Augen-Entzündung.
1 nenntet, Galen, von den örti. Mitteln, IV, c. 1 (B. XII, S. 702).
2 Jacob, de part.: sarcocolla temperata post conquassationem una tota nocte in lacte mulieris . . .
Zehntes Kap. Behandlung d. galligen u. blutigen Augen-Entzündung etc. 49
Wenn die Materie blutig ist, sollst du Schröpf köpfe nach dem Aderlass anwenden und die Massage der Extremitäten und ihre Umschnürung andauern lassen, mehr als in andren (Krank- heits-Formen); und im Anfang der Erkrankung die genannten Säfte anwenden, dann Brotkrume2 hinzufügen; hierauf thu' jenes Brot in eingekochtes Weinbeer-Mus und mische es damit: viel- leicht musst du noch ein wenig Opium hinzufügen, wenn heftiger Schmerz besteht.
Wenn die Materie gelbgallig ist, wirst du nach dem Aderlass (den Darm) entleeren mit einem Mittel, das die Galle abführt3, und ein Süsswasser-Bad verabfolgen. Zuweilen ist es passend, kaltes Wasser dem Kranken über Kopf und Augen zu giessen. Zuweilen wäscht man das Gesicht mit kaltem Wasser, dem ein wenig Essig beigemischt ist, und dies nützt.4
In der galligen (Augen-Entzündung) muss man grössere Kühnheit zeigen bezüglich der Anwendung zusammenziehender Mittel im Beginn, (doch) auch ohne Uebertreibung; man soll (dabei) zusammenziehende Collyrien anwenden, die in (Pflanzen-) Säften gelöst sind. Aber bei dem Erysipel, welches zum Gesammt- begriff jener Krankheit gehört, muss man, nach der Entleerung des Darms mit Abführmitteln und mit dem Klystier, auch Um- schläge anwenden aus der Rinde von Granat- Aepfeln , welche gekocht ward über (glühenden) Kohlen und verrieben mit Syrup oder Honig. Und anhaltend mache man dem (Kranken) warme Schwamm-Bähungen ; auch Umschläge aus Erbsen- und Weizen- mehl-Abkochung, mit Honig -Syrup oder Süsswurzel verrieben, sind ihm nützlich. Es ist auch nöthig, dass das Auge beharrlich mit Milch gewaschen, gekühlt und benetzt werde.
Aber die Beschränkung auf Abkühlungen gehört zu den Dingen, die verzögern und schwächen.
Wenn (schliesslich) die Krankheit sich löst und (nur) Eöthe zurückbleibt, dann mach' einen Umschlag aus Eidotter, das ge-
2 Alex. Trall. sog. Augenheilk., S. 162: xolg öia xqöxov xctl ipL/Cjv.
3 Alex. Trall., S. 164, verwirft hierbei den Aderlassund empfiehlt nur die Abführung. Aehnlich Aet., c. 2, S. 2.
4 Aet, C. 3, S. 8: zag öe Irjftag . . . öicata&cciQSi xe xai ovivrjfn xalwg o^vxqaiov vdaQecnceTOv xal nvib to vÖcjq xn&' ctvjb ipv/Qov y.mctviXov^ievov.
Ibn Sina. 4
50 Augenheilkunde des Ibn Sina, erster Abschnitt.
braten und verriebenes^ mit Safran, Honig und den übrigen Mitteln, die in unsre/^Arzneiscbatz gegen ßo^ie verordnet werden.
Jkf-^t — !»
* Elftes Kapitel.^/ Ueber die Behandlungrorkalteii Augen-Entzündung. x
Bei der kalten Augen-Entzündung, welche aus kalter Materie entsteht, muss die kalte Feuchtigkeit entleert werden. Bisweilen muss man die Kur wiederholen, sei es ein Trank, ein Klystier, eine Gurgelung. Die Kur soll man beginnen mit denjenigen zurücktreibenden Mitteln, welche nicht sonderlich abkühlen, viel- mehr einige Verdünnung in sich haben, wie Myrrhe und Gummi. Und, wenn du ein Collyr anwendest aus Narde mit passender Wasser(-Menge), so wird das trefflich wirken.2
Wenn in den Häuten der Pupille 3 keine Schädigung besteht, so mach' ein Collyr aus Wasser, in dem aufgekocht sind Safran und weisser Vitriol und Honig. Im Anfang soll die Stirn mit einem Mittel aus weissem Vitriol gesalbt werden, besonders wenn der Weg der Materie durch die äussere Hülle geht; und es ist auch nicht schlecht, wenn der (Kranke) sein Gesicht wäscht mit Wasser, in dem weisser Vitriol gelöst ist; und, wenn man im Anfang eine Lidsalbe anwendet aus Theriak und Schwefel und Arsen, so ist das gut. — Auch das Trinken des Theriak ist nützlich. — Schon lange sind hierbei erprobt die Blätter des Ricinus, zerrieben und gemischt mit Alaun, und die Malven-Blätter, in Wein gekocht.
Wir aber werden in der Arzneimittel-Lehre Kügelchen an- geben, die passend sind, das Lid zu salben.4
Bockshorn-Wasser und Leinsamen-Schleim gehört zu den- jenigen Mitteln, deren Einträuflung in's Auge den an kalter Augen-Entzündung Leidenden Nutzen bringt. Und danach das rothe lindernde Collyr und das andre rothe Collyr, das grössere,
1 Aet. , c. 13 (S. 30): nsql Trjg xaza xovg ocp&alfiovg ipv/Qag dvaxQaaiag.
2 Aet, a. a. 0.: eyxvfAccTiaieov . . . tco vagdivco Zcoikov vdöLQeGieqav ttjv (jvazaacv noiovvieg . . .
3 Steht wohl für Auge. In Betracht kommt hauptsächlich die Hornhaut.
4 Scheint dies aber vergessen zu haben. Wenigstens findet es sich nicht K. V, i, vin, noch V, n, n.
Elftes Kap. Behandl. d. kalt. Aug.-Entz. Zwölftes Kap. Behandl. d. Chemosis. 5 1
die Stern-Salbe5 und Gummi, gelöst im Saft der Kapernstrauch- Blätter, und der Umschlag von Kapernstrauch-Blätter allein. Allen diesen (Kranken) nützt eine verdünnende Lebensweise und der Gebrauch des Bades und des weissen ungemischten Weins.6
Zwölftes Kapitel. üeber die Behandlung der Chemosis.1
Für die Augen-Entzündung, die bis zur Chemosis gediehen ist, besteht die Behandlung in der Entleerung und im Aderlass 2 und im Schröpfen ; und zuweilen ergiebt sich die Notwendigkeit der Arterien-Eröffnung. Wenn die (Krankheit) aus einer heissen Augen-Entzündung entstanden ist, und du schon Entleerung geschaffen von allen Seiten, und aus den Blut-Adern des Kopfes, und Schröpfköpfe gesetzt hast; so musst du so etwas anwenden, wie z. B. die weisse Salbe2, von den zurücktreibenden Mitteln und von den kühlenden und lindernden Säften.3 Aeussere Um- schläge3 sind z. B. (von) Safran und Koriander-Blättern und Steinklee mit Eidotter und Brot, aus denen man einen Aufguss in Wein-Syrup gemacht hat. Und zuweilen muss man ein wenig von den betäubenden Mitteln hinzufügen.
Die (Lid-)Salben sollen aus denselben Stoffen bestehen und aus Schöllkraut und Kreuzdorn und Aloe. Zu den erprobten Mitteln gegen dieses Leiden gehört auch Eidotter mit Bärenfett: aus beiden bereitet man einen Umschlag, auf das Auge zu legen.
5 Galen, von den örtl. Heilm., IV, c. 7 (B. XII, S. 761): Ävixrjjog aazr'lQ, enthält Galmei, Bleiweiss, Antimon, Blei, Samische Erde u. s. w. Vgl. Aet., c. 7.
6 Aet., a. a. 0.: xotl xb Xovxqov nQogayea&co , nXXa xctl olvov doxeov.
1 Ueber diesen Namen vgl. Wörterbuch d. Augenheilk., ferner Gesch. d. Augenheilk. im Alterth., S. 373, woselbst auch das Kapitel der Chemosis nach dem griech. Kanon (Demosth.) aus Oreib. (V, S. 446) und Paul. (III, c. 22, § 5) angeführt ist. S. oben S. 28, Anm. 5.
2 x^eqansvSLP <(xi)v /rjucoaivy (pXeßoxoy,ia xa&aQxixcp xe xal reo diayQÖdcp xoXXvqlco tw Xevxaj. (Paul., a. a. 0.)
3 nvQcoug je xal xaxanXäafiaai nctQijyoQixoig /QTjdieov (Paul., a. a. 0.). Die Therapie der Chemosis ist bei Paulus ganz kurz abgehandelt und umfasst im Wesentlichen nur das in Anm. 2 und 3 Mitgetheilte.
4*
52 Augenheilkunde des Ibn Sina, erster Abschnitt.
Ebenso nützen Rosen, in eingedicktem Traubensaft, dann mit Eidotter erwärmt und auf das Auge gelegt. Wenn aber der Schmerz heftig wird, dann nützt Safran, zerrieben mit Milch, und Koriander-Saft, zur Einträuflung in's Auge. Einige aber lieben bei der Chemosis nur äussere Anwendungen: es genüge, drei Tage hindurch Milch in's Auge zu träufeln, wenn der Zu- stand der Kranken und die Zeit dies erlauben. Und diejenigen, welche Pulver anwenden, haben es schon erprobt in der Che- mosis, für den Geschwür-Schmerz, dass ein Pulver aus persischem Gummi und Safran und Schöllkraut-Saft und Opium eingerieben werde.
Entsteht die Chemosis nach einer dicken, kalten Augen- Entzündung, so muss man mit den heiligen Ritter-Mitteln) ihren Schaden beseitigen und Schleim-Mittel anwenden, welche lindern, und die aus dem Saft des Kohls oder aus dem Wasser seiner Abkochung bereitet werden. Zuweilen wird es nöthig sein, die- selben mit dem Wasser des Nachtschattens zu vermischen, und zuweilen mit Myrrhe und Safran.
Dreizehntes Kapitel.
Von der Behandlung der windigen Augen- Entzündung.1
Die windige Augen-Entzündung wird behandelt mit Auf- schlägen und Bähungen2 und Bädern.
1 Paul, hat ein Kapitel (III, c. 22, § 7* u. 8) üqbg e'fjKpvar/fiaia xrijo-ficodij . . . Tb fiev efiq>V(jr][xa byxog i&tlv otdrjfiaTCüdrjg toxi ßXeqxxqov . . . Aet., c. 14 (S. 30): Usqi 6fj,q)V(Tr/jjiaTOC, ex tu>v Arjfioa&Evovg. 'JÜficpvaaa&ai xbv öcp&aXfibv Xeyov- aiv, öiav /(oqig cpaveqag ahlag oiörjaag 6 oqp&aXfibg dxQOvaieqög je xal <pXey- [KXTCodeaieQog xal xvrjafxüdrjg Iffxvqojg fiexä qevfxaxog yiyvexai' avfißaivei de xovxo d)g eninav xotg nqeußvxeqoLg (jäXiaxa, anb xov nqbg xfj qtvl xav&ov xvrjafiov (xQxofievov . . . nqognXeovä'Cet de ev &eqei. Es sind dies wohl von Thränenschlauch - Leiden abhängende Entzündungen des Lids und der Bindehaut und nicht das, was wir als Emphysem (Luft- Geschwulst der Lider nach Verletzung) zu bezeichnen pflegen. Allerdings hat Paul, ein Kapitel neql vnoo-yayiiaxcov xal e'fxcpvatj^iäxcjv (und Ioann. Akt, II, 443, erklärt das Lid -Emphysem durch Ansammlung von Luft in den Lidern).
2 Aet.: xteganevexat de nvQtojvxa diä anöyycov.
Dreizehntes Kap. Windige Augen-Entz. Vierzehntes Kap. Angabe d.Heilm. 53
Die Bähung mit Hirse ist die nutzbringende für den (Kranken). Einige verwegene Aerzte wagen3 mitunter Betäubungsmittel bei Heftigkeit des Schmerzes anzuwenden und zwar so, dass dieser sofort gelindert wird. Aber nach einer Stunde wird er heftiger erregt, weil <(jene Kur) es hindert, dass die Aufblähung sich löst. Dir aber rathe ich milde Lösungsmittel an.
Vierzehntes Kapitel.
Kurze Angabe der bei Augen-Entzündung gebräuch- lichen Heilmittel.
Natürlich das weisse Collyr. 1 Denn dasselbe hat die Kraft zu vereinigen, zu kühlen, Schmerz zu stillen und beissenden Stoff zu verbessern. Zweilen wird ihm Opium hinzugefügt, dann stillt es kräftiger den Schmerz; aber vielleicht schadet es dann der Sehkraft und verlängert die Krankheit wegen der Betäubung und Unreife, die es bewirkt. Zu den ^Mitteln), die hierher gehören, ist auch zu rechnen das Kügelchen aus Rosen; es ist von grösstem Nutzen bei Hitze und Schmerz; (auch) giebt es (davon) grössere und kleinere : in unsrer Arzneimittel-Lehre wirst du Kügelchen und Collyrien dieser Art finden. In den Tabellen der einfachen Mittel des Auges <1. II Tr. II) wirst du zurück- treibende Mittel finden, wie Bleiglätte und Traganth und Kreuz- dorn und Rosen und Antimon aus Ispahan und Akazie und Schöllkraut und Santel und Gall-Aepfel und Siegel-Erde und die übrigen Pflanzensäfte und Gummi-Arten und dgl.
Zu den einfachen Mitteln, welche speci fisch sind für dicke Materien, gehören Myrrhe, Safran, Weihrauch, Narde, Bibergeil, ein wenig Kupfer, Aloe ganz besonders und Klimme und gebranntes Hirschhorn. 2
3 Vgl. Anm. 28 des Kap. 9.
1 xoXXvqiov Xevxöv. Paul. VII (S. 282): <-£.) Xbvxov öiaQodtov. Kad- fitag xexavfidvov xai nenXv., yji{iv&iov nenXv. dvd Xi. ä, dfivXov, öniov, xqayct- xäv&ijg dvd yo jF, aXörjg yo äS, xöfifiecog yo y, xqoxov ya äS, qÖÖcüv (bvv- Xidfisvcov yo g, vdcog.
2 [und Kügelchen]. Diese beiden Worte geben keinen Sinn: sie stellen entweder eine Randglosse dar, oder sie sind unvollständig, insofern der Stoff der Kügelchen nicht angegeben ist. (Sie fehlen in d. lat. Uebers.)
54 Augenheilkunde des Ibn Sina, erster Abschnitt.
Aber, was die Anordnung und Mischung anlangt mit dem, was kälter oder wärmer ist in den Materien; so ist dies Sache des ärztlichen Takts.
Die andren zusamengesetzten Mittel, welche erprobt sind, werde ich in der Arzneimittel-Lehre auseinandersetzen.
Zu den erprobten Mitteln, welche zurücktreiben, bei hef- tigem Schmerz und dicker Materie, gehört die Augenbrauen- Schwärze mit reinem Honig. Bockshorn-Saft kann mit der Sonde in den Thränenwinkel gebracht werden. Zu den zu- sammengesetzten Mitteln der Art gehört das styptische Collyr und das linde, rothe und das grössere Collyr aus wilden Granat- Aepfeln; Rosensamen-Kügelchen sind aus dieser Gattung von besonderer Vortrefflichkeit.
Tractat IL
Von den übrigen Erkrankungen des Augapfels,
und hauptsächlich von denen der Zusammensetzung
und des Zusammenhangs.
Erstes Kapitel.
Von den Bläschen.1
Es kommen im Auge wässrige Bläschen vor, in gewissen Schichten der Hornhaut, deren vier gezählt werden.2 Diese Wässrigkeit ist eingesperrt zwischen zwei von diesen vier Schichten. Der Ort ist zweifellos verschieden. Diejenige Art, welche tiefer liegt, ist mehr bösartig.3 Die (Ansammlung) unterscheidet sich erstlich in der Quantität, nach Zu- und Abnahme; und sodann in der Qualität, durch Farbe und Wesenheit. Und bisweilen unterscheidet sie sich nach ihrem süssen Geschmack und nach ihrer Schärfe4 und ätzenden Beschaffenheit. Diejenige Art, welche unter der ersten Schicht sich befindet5, sieht schwärzlich aus,
1 Vgl. Aet, c. 31, neql (pXvxTouvcov, womit unser Kap. ziemlich über- einstimmt.
2 [bei Einigen, bei Andren drei] sowie gleich weiter noch einmal [oder drei] haben wir als störende Einschiebsel in den arabischen Text an- gesehen und entfernt. Ueber die vier (oder drei) Schichten der Hornhaut, welche die Griechen annahmen, vgl. Tract. , I, c. 1.
3 %ttXsTiTj de r\ xaza ßä&oc. Aet., a. a. 0.
4 Bits öia nXrj&og Qaysii] rj cplvxiig, eiie öia^qw^sir] vnb dQifiviTjTog. Aet., a. a. 0.
5 Im arab. Text steht noch [ist schlimm]. Das entsprechende mala der lat. Uebersetzung ist schon von Bellunensis gestrichen, ganz richtig, mit Rücksicht auf das voraufgegangene. (S. Anm. 3.)
56 Augenheilkunde des Ibn Sina, zweiter Abschnitt.
weil sie den Blick nicht von dem Erreichen der Traubenhaut abhält. Die tiefer gelegene hält ihn ab, weil sie zu entfernt ist, als dass der Strahl zu ihr durchdringen kann: deshalb er- scheint sie weiss.6
Viel scharfes Wasser in der Blase ist schlimm, denn es schädigt gleichzeitig durch Ausdehnung und durch Schärfe. Je tiefer die Blase sitzt, um so mehr dehnt und breitet sie sich aus und wirkt ätzend. Eine solche (Blase), welche dem Sehloch gegenüber liegt7, schadet der Sehkraft und ganz besonders, wenn sie ätzend und geschwürig ist.
Zweites Kapitel. Von der Behandlung.1
Die Behandlung der Blase, so lange sie klein bleibt, ge- schieht mit den austrocknenden Heilmitteln, wie demjenigen aus samischer Thon-Erde (d. i. der Stern-Erde). Dies (Mittel) wird folgendermassen (bereitet). Man nehme gedörrten samischen Thon 3 Unzen, Galmei 1 Unze, gewaschenen gelben Galmei und geschlemmtes Antimon je 2 Unzen, gewaschene Kupferschlacke 1 Unze2, Opium 3 Unzen, Grummi 4 Unzen: verreibe es in Regenwasser und bereite daraus Collyrien und wende sie an mit Bockshorn- Wasser.
Wenn aber die Blase sich stark vergrössert, muss sie operativ behandelt werden.3
6 Etwas anders Aetios. „Die Blase ist an sich schwarz, die Horn- haut an sich weiss. Deshalb ist die oberflächliche Blase schwärzlich, die tiefere weisslich." — Die weisseren, tiefen Blasen des Aet. und Ibn Sina sind wohl hervorragende Narben der Hornhaut (Leucorna prominens).
7 Aet.: xaia. jrjv nöqrjv . . . eneiai xi eisqov xaxöv . . . äv&QConog ovx öipeiai.
1 Die Behandlung der Phlyktänen bei Aetios ist ganz anders.
2 Glosse [„in einem Recept 4 Unzen, in einem andren eine ein- zige Unze"].
3 [d. h. durch einen Einstich mit einer Lanzette. Ich habe mit der Lanzette Jemand geheilt, der diese Krankheit hatte, und die wässrige Sub- stanz herausgebracht, die sich angesammelt hatte unter der Oberfläche der Hornhaut, und die Oberfläche der Hornhaut kam wieder in Ordnung ; und
Zweites Kap. Behandlung. Drittes Kap. Geschwüre des Auges etc. 57
Drittes Kapitel.
üeber die Geschwüre des Auges und über die Zer- reissung der Hornhaut.
Die Geschwüre des Auges entstehen hauptsächlich aus scharfen, verbrannten1 Stoffen. Es giebt deren sieben Arten: vier an der Oberfläche der Hornhaut, welche Galenos2 Ge- schwüre nennt und Einer vor ihm Rauhigkeit.
Das erste ist ein Geschwür, ähnlich dem Rauch, und be- findet sich über dem Schwarzen des Auges, auf dem es sich ausdehnt, und nimmt einen grossen Raum ein und heisst Nebel (alhaft = achlys)3, und oft auch Katam.4 Ferner giebt es eine andre Art, diese ist tiefer und stärker weiss und von geringerer Ausdehnung und heisst Wolke5 und wird öfters gleichfalls Ka- tam genannt.
Das dritte ist das Kranz- <oder Rand-)Geschwür; es be- findet sich auf dem Kranze, d. h. dem Rande des Schwarzen; zuweilen nimmt es auch einen Theil von dem Weissen der
nachbehandelt habe ich mit Milch und der Blei-Salbe: da wurde er ganz gesund]. Dieser Satz beider arab. Ausgaben fehlt in den latein. Ueber- setzungen vollständig. Da solche casuistische Mittheilungen bei Ibn Sina ganz ungewöhnlich sind, so mag man hier einen späteren Zusatz (aus der Zeit zwischen 1140 und 1590) annehmen. Der Stil des Arabischen spricht auch für diese Annahme.
1 = phlegmatischen.
2 Hier haben wir eines der seltnen Citate bei Ibn Sina. Uebrigens vermögen wir aus den uns erhaltenen echten Schriften des Galen dieses Citat nicht zu belegen. Von den unechten möchte man die Einführung (B. XIV, S. 773) und die ärztl. Erklärungen (B. XIX, S. 433) herbeiziehen, oder de oculis (IV, 10), wo uns auch die Zahl 7 = 4 + 3 entgegentritt. Ein weit besserer Text ist uns bei Paul, überliefert (vgl. Gesch. d. Augen- heilk. im Alterth., S. 380). Doch am ähnlichsten dem Text des Ibn Sina ist der des Aetios, c. 27 (S. 50).
3 Aetios fast wörtlich ebenso: i) fiev yctq a/Xvg enmöXaiög euuv e'Xxcoaig ini xov [isXavog yivoy.6vrj, TtnQanlrjaia a/Xveodei aegi uj /QCüfiau xvavco, noXvv xönop sne/ovaa xov (tehavog.
4 Schwer zu deuten-, arab. qatäm = schwärzliches Pulver.
5 Aet. fast wörtlich ebenso: vecpehov xaleljai rö tnl rov piXavog ßad-vieQov irjg (t/Xvog elxog xcti ^.i/.üöieqov, xji de xgoa Xsvxöisqov.
58 Augenheilkunde des Ibn Sina, zweiter Abschnitt.
Bindehaut ein: und was vor der Pupille ist, erscheint weiss und roth das, was auf der Bindehaut liegt."
Die vierte Art heisst Brandgeschwür7 und auch das wollige Geschwür und es ist in dem sichtbaren Theile der Pupille so, als ob ein wenig Wolle darüber wäre.
Und drei (andre) sind tief. Eins heisst bothrion8, d. h. das tiefgrubige, und hat eine grosse Tiefe: es ist ein tiefes, enges, reines Geschwür. Das zweite heisst koiloma9, d. h. das grabende; es ist von geringerer Tiefe und breiterer Erstreckung. Das dritte heisst Encauma10, d. h. auch Brandgeschwür; es ist ein schmutziges Geschwür mit Schorf, bei dessen Reinigung eine Befürchtung Platz greift: nämlich die Feuchtigkeit <(des Auges) fliesst aus wegen der Zerfressung der Häute, und dabei geht das Auge zu Grunde.
Geschwüre entstehen aber im Auge im Gefolge entweder einer Augen-Entzündung oder einer Pustel, oder durch eine Verletzung. Häufig beginnt das Geschwür von innen und bricht nach aussen auf; und auch das umgekehrte (kommt vor).
6 Aet., c. 28: "Aqyefiöv evtl xb xcxtoc xov xrjg i'qecog xvxXov yiyvöfievov eXxvdqtov, dneiXrjqpbg zb fiev xov Xevxov, xb de xv xov ueXavog, Xevxov cpaivö- fievov. Galen, defin. m. 330 (B. XIX, S. 433): ''Aqyefiöv eaxiv elxcoaig xarä xb fiev fieXav Xevxrj qjaivofievrj, xaxa de xb Xevxbv vneqv&qog. Es ist die heute sogenannte Phlyktaene.
7 Aet.: enlxavfia de Xeyexai bwv xb fieXav xov oop&aXfiov xoct/vvöev enmoXrjg emxaev epavjj, xfj /qöa xeqpqbv yevbfievov. Ibn Sina meint wohl das (scrof.) Gefässbändchen der Hornhaut.
8 lubujun, verdorben aus ßo&qlov. Paul.: xb fiev yaq ev xco xeqaxoeidei xolXöv xe xal oxevbv xal xa&aqbv elxog ßo&qiov (Grube) enovofia&xai. Ebenso Aetios.
9 lubumäj, verdorben aus xoiXcofia. Paul.: to de nXaxvxeqov fiev xov ßo&qlov, rjcFGov de ßafrv, xoiXo/ia xaletxai. Ebenso Aetios.
10 Aucauma, verdorben aus eyxavfia. Aet, a. a. 0.: eyxavfia de eaxc xb xaxa. xb nXeiuiov yiyvöfievov ex nvqexov eXxog fiexa ea/äqag axa&aqxov . . . ev xfj xafräqo-ei noo/eixai e£« xä vyqä. Uebrigens sagt Paul, das letztere auch vom enixavua aus. ' Doch spricht schon der Name dafür,, dass die Darstellung des Aet. die genauere ist. Vgl. Gesch. d. Augenheilk. im Alterth., S. 381.
Viertes Kap. Von den Zeichen. Fünftes Kap. Heilung der Geschwüre. 59
Viertes Kapitel.
Von den Zeichen.
Zeichen des Geschwürs in dem Augapfel ist eine weisse Stelle, wenn das erstere in der Hornhaut liegt;- und eine rothe, wenn es sich in der Bindehaut befindet1. Daneben besteht heftiger Schmerz und Klopfen. Und, wenn der Eiter, welcher sich in dem Verbände findet, weiss ist; so bezeichnet dies schwachen Schmerz und starkes Klopfen; und, wenn gelb und dunkel, so wird (der Schmerz) gelinder; und, wenn (der Eiter) röthlich ist, dann wird der Schmerz noch weit gelinder.
Fünftes Kapitel. Von der Heilung der Geschwüre.1
Wenn das Geschwür im rechten Auge sitzt, muss (der Kranke) auf der linken (Seite) schlafen; und, wenn es im linken sitzt, auf der rechten. Im Anfang muss er eine schmale Diät gebrauchen. Wenn nun das Geschwür im Durchbruch be- griffen ist, dann verringere (beschränke) die Nahrung auf Ex- tremitäten1* und junge Hühner, so dass die Körperkraft nicht geschwächt werde, und (somit) die Geschwürs-Heilung ausbleibe, indem (dabei) die flüssigen Absonderungen des Körpers sich vermehren. Der Kranke soll sich nicht anfüllen. Er soll, soviel wie möglich, weder schreien noch messen; auch soll er nicht in's Bad gehen vor der Reifung der Krankheit, und wenn er es thut, darf er nicht lange darin verweilen.2
Die Grundlage und Wurzel der Behandlung bestehe in der Reinigung des Kopfes mit den Abführmitteln, welche (die Stoffe) nach unten ziehen. Ebenso nützt hierbei sehr viel das Schröpfen
1 Vgl. Anm. 6 des vorigen Kapitels.
Kap. 5. a Der von Galen (v. den örtl. Heilmitteln, IV, c. 4) über- lieferte Abschnitt neql tcjv iv 6cpd^al(ioig elxäv und auch die von Aet. (c. 17) überlieferte xoivrj &8Qaneia twv ei> öy&alpoig ibt&v 2eft>)qov hat zwar einiges mit unsrem Kapitel gemeinsam; aber des Paul. (III, c. 22, § 24) Abschnitt nsql tlxiöv enthält vieles in wörtlicher Uebereinstimmung.
la Wie gekochte (klebrige) Kalbsfüsse. Vgl. Isa ben Ali, II, c. 53.
2 Aet., c. 17: onaviodiajct koveiv.
60 Augenheilkunde des Ibn Sina, zweiter Abschnitt.
auf dem Schenkel und der Aderlass3 aus der Schenkel-Vene; (ferner) beharrliches Abführen, alle vier Tage, mit einem Mittel, das die scharfe, dünne Absonderung herausbringt, aus xAb- kochungen und Aufgüssen.
Wenn daneben eine Augen-Entzündung besteht4, so behandle man diese zuvor mit der Entleerung, die ich schon in dem betreffenden Kapitel angegeben habe, und mit den Mitteln, welche Linderung des Schmerzes mit Geschwürs-Heilung verbinden, wie z. B. dem Collyr aus Stärke und Weihrauch und dem aus Bleiweiss5 und der Einträufiung von Frauen-Milch in's Auge. Wenn dabei Thränenschuss besteht, so mische man (jenen) etwas bei6, was hemmende Wirkung besitzt.
Im Ganzen besteht die Grundregel der Arzneiwahl darin, dass man alles das zu wählen hat, was trocknet, ohne zu beissen.6a Wenn die Hitze stark ist, dann reiche das lindernde Hanf- Collyr. Auch das Weihrauch-Collyr ist sehr hilfreich. Zu den sehr nützlichen gehört auch das Hefen-Collyr und der Schwan. 7 Wenn Thränenschuss besteht, so passt das Collyr aus der Kruke und das Chlische.8 Wenn Thränenschuss mit akuten Erscheinungen besteht, so geben wir das sarische9 Collyr; und, wenn ohne akute Erscheinungen, so wenden wir dasjenige Collyr an, welches Myrrhe und Narde enthält. 10 Wenn die Geschwüre schmutzig sind, so reinigen wir dieselben mitHonig-Syrup oder mit der Abkochung von Bockshorn nebst einem der genannten (Col- lyrien), oder mit Schleim des Leinsamens oder mit Frauen-Milch. n
3 Ebendas. : dia qpXeßoTOfilag rj xa&äoo-eoyg rj xlvarfJQog.
4 Paul., a. a. 0.: El fiev ovv tv/i] to eXxog a^a qpXeyfiovrj avairjvai, xal xrjv öeganelav dia t&v jrjv qpX. nqavveiv xe xal (TVfinsiieiv dvvafievcov noirjieov.
5 ipi[j.v&iov} Paul., a. a. 0.
6 Paul., a. a. 0.: El de avv oev{iau to elxog sltj tcov 7tooc exeivo xoXXvqicov tl fil^bj^ev bnolöv s<jTi to T£ öS vöglotg xal to Xiaxöv.
6a Paul., a. a. 0.: xctl öaa Ttjg anoxqovauxrjg adrjxwv [asts/si dvväfxecog.
7 6 xvxvog xal to. nrjkäoia, Paul., a. a. 0. Im Arabischen entstellt: sfanium waqweibis.
8 Im Arabischen entstellt: madurfus larusus. Die Zusammensetzung dieser Collyrien s. bei Paul. Buch VII, S. 280.
9 Was das sarische Collyr sei, ist schwer zu sagen.
10 Paul., a. a. 0.: Toig te 6caaiJ.vQvoog xal vaoöivoig.
11 Paul., a. a. 0.: ovnaocov de xav elxcop ovtcüv, tu ts (lefaxqäTG) ueiüicog vdaoei xal tw xrig Tr]keb)g d(peipJ]^aTi /ojyocüiue^a.
Sechstes Kapitel. Von den Zerreissungen der Hornhaut. 61
Wenn {die Geschwüre) stark zerfressen sind, muss man das Trachom -Collyr anwenden. Wenn das Geschwür sich reinigt12, gehe über zu den Mitteln, welche trocknen, ohne zu beissen, wie das Collyr aus Weihrauch, und Weihrauch für sich und Stärke und Bleiweiss und gebranntes Blei und das weisse Collyr und das Blei-Collyr ganz besonders und ebenso die geschlämmte Asche der gewöhnlichen Muschel mit Eiweiss oder die der grossen Muschel mit gleichen Theilen des Samens vom wilden Granatbaum. Beschreibung des L i vi us 'sehen Collyrs13; es ist wirksam: Galmei 16 Drachmen14, gewaschenes Bleiweiss eine Unze, Stärke, Opium, Traganth je 2 Drachmen; zerreibe es, ver- reibe es mit Regenwasser und knete es mit Eiweiss. Ein andres von derselben Benennung15, das wirksamer ist: Gelber Galmei, gebrannt und gewaschen, und gewaschenes Bleiweiss je 8 Unzen, Myrrhe 6 Drachmen, gewaschenes Antimon eine Drachme, Bleiglätte 6 Drachmen, gebranntes und gewaschenes Blei sowie Talk je 4 Drachmen, Traganth 8 Drachmen; zerreibe es mit Wasser und knete es mit Eiweiss und wende es an, denn es ist sehr nützlich.
Sechstes Kapitel. Von den Zerreissungen der Hornhaut.1
Zuweilen entsteht sie von einem Geschwür, welches vorauf- geht, und zuweilen von einer äusseren Ursache, wie von einem
12 Paul., a. a. 0.: xa&ctQ&evia de x« elxrj xaX&g necpvxev 6 KXeav acpovXovv. (Im Text xXalcov.) Im 7. Buch giebt Paul, das Recept desselben: HofxxföXvyog, fioXvßdov äva yo. i", xqöxov yo. äS, Xenidog cnoixcofKXTog yo. a, xöfifiecog yo. ß, vöcog öfißoiov vdaoeg eyxQie.
13 Arabisch steht lunabis für lubanis, latein. luberis. Aus dem Ver- gleich mit Galen (XII, S. 762) und Paul. (S. 282) folgt, dass Aißiavöv gemeint ist, d. h. das Collyr von Alßiog = Livius.
14 mithkal, also grosse Drachmen zu 6 Gramm.
15 Galen, a. a. 0.: "AXXo zb Aißmvov. Paul., a. a. 0.: ziveg xal (Tfivqvrjg y. d.
1 Bei Paul. (III, c. 22, § 25) folgt auf den Abschnitt von den Ge- schwüren derjenige über den Vorfall: Hegt noonzäcrecog. ITQÖnzoaig eau naonezeia zov Qayoetdovg /ira^o? ex diaßocoaecüg rj Qtjt-ecog zov xeoazoeidovg yivo\ievr\' fjrig fxtxoa [iev eu ovact . . . fiv'ioxeqpaXov xaXetzai' itl nXeov de
62 Augenheilkunde des Ibn Sina, zweiter Abschnitt.
Schlag oder von einem Fall, welcher Durchbruch bewirkt; und dann erscheint die beerenförmige Haut. Wenn das, was von dieser sichtbar ist, einen kleinen Theil darstellt, heisst es ameisen-artig und fliegen-artig, je nach der Grösse und der Klein- heit. Wenn es aber grösser ist, so dass darin gewisserniassen eine Weinbeere erscheint, so heisst es trauben-artig (beeren-artig) ; und diejenige Form, die noch grösser ist, heisst blasen-artig. Wenn aber die Beerenhaut stark hervortritt, so dass sie den Lidschi uss hindert2, so heisst sie nageiförmig.
Wenn die (vorgefallene) Beerenhaut weiss wird, so giebt es keine Heilung. Und wisse: wenn die Hornhaut der Länge nach gespalten wird, so erscheint nicht die weisse Farbe, sondern ein Spalt; und es ist so, als ob die Pupille in die Länge ge- zogen ist.
Man kann dies noch deutlicher erklären und sagen: Bis- weilen betrifft die Zerreissung alle Theile und Schichten der Hornhaut, und die Hervorragung besteht aus der Substanz der Beerenhaut. Bisweilen betrifft aber die Zerreissung nur einige Theile der Hornhaut, und die Hervorragung besteht aus der letzteren selbst. Und dies letztere geschieht bei Zer- fressung einzelner Häute derselben, und dies gleicht einer Blase.3
Aber es unterscheidet sich von den Blasen und den Ge- schwüren dadurch, dass mit diesen (letztgenannten) verbunden ist Eöthung im Weissen des Auges, ferner Thränen und Pulsiren; und die letztgenannten mit der Sonde sich niederdrücken lassen: dies (beides) ist aber hier nicht der Fall.
avty&eiaa, naQanXrjaicog qayi GTOHpvXrjg, <jxa(fvX(i)(ia' inl nXeiazov de wg vnaqexninzBiv nah ra ßleyaqct , fxrßov et öe Tvlto&elrj tovio, qkog ngogayo- Qeveiai. Dies ist klar und ebenso des Aet. Kapitel 35 und 36 (vom Fliegenkopf und von der Beerengeschwulst). Von Ibn Sina's Darstellung kann man dies nicht rühmen. Störend ist die doppelte Schilderung der vier Arten des Vorfalls, zumal die zweite mit der ersten nicht völlig über- einstimmt. Einheit würde gewonnen, wenn man die zweite Darstellung, als späteren Zusatz, fortstreicht. (Der Stil derselben ist allerdings nicht abweichend.)
2 Im Arabischen: zwischen steht zwischen den Lidern und dem Be- decktsein.
3 Aet. , a. a. 0.: (crnxcpvXcojjiay yivETai öenoxe uev vygcov vnax&evnov vnö xivn xiov xrrjdöi'Cöv znv xeQotioeidovg /iicövog . . . xnt'xl uvog qjXvxinivcodovg.
Siebentes Kapitel. Von den Behandlungen. 63
Aber die Hervorragung, welche durch Zerreissen der Horn- haut in allen ihren Schichten entsteht, ist entweder Vorfall der ganzen Beerenhaut oder eines Theiles derselben. Es giebt vier Arten davon, (die wir schon genannt haben).4
Siebentes Kapitel.
Von den Behandlungen.
So lange (das Uebel) noch auf dem Wege der Entstehung ist, besteht die Behandlung in derjenigen der Geschwüre und der Pusteln, nach dem, was wir angeführt haben, dass dieselben Reinigung des Körpers erheischen, je nach der Natur der Krankheit, Entleerung mittelst des Aderlasses und der Abführung. Nach der Entleerung werde ein Süsswasser-Bad verabreicht, namentlich wenn in der Körpermischung Schärfe vorhanden ist; jedoch soll der Kranke nur kurze Zeit in der Luft des Bades verbleiben. Auch soll er nicht häufig seinen Kopf in Brunnen- wasser tauchen, mag es warm oder kalt sein. Auch soll auf sein Haupt kein Oel gebracht werden. Denn einige Arten (des letzteren) senden Materie zum Auge, durch Auflösung der im Hirn befindlichen Materie und ziehen (noch) herbei, was nicht in demselben ist; andere verdichten die Poren der Auflösung: da sie also keinen freien Eaum findet, wendet sie sich zu den
4 Zusatz. [Erstens die kleine, fliegen- oder am eisen -artige. Wenn diese sehr klein ist, sieht sie aus, wie eine Blase oder Pustel; doch unterscheidet sie sich von der letzteren, weil sie die Farbe der Beeren- haut darstellt, schwarz oder blau oder grau. Ist hingegen die Farbe des Gebildes verschieden von der der Beerenhaut, so handelt es sich um eine Blase. Bisweilen wird es sichergestellt durch Beurtheilung seiner Be- schaffenheit, indem man ringsum an der Wurzel gewissermassen einen weissen Saum wahrnimmt: dies ist eben nur die Grenze der durch- brochenen Hornhaut und diese wird weiss bei der Vernarbung. <^Aet. , c. 35: Xevxä cpaiveicu xd /eikrj.y Die zweite Art ist die, welche wir er- wähnt und trauben- (beeren-) förmig genannt haben. Die dritte ist noch grösser und hindert den Lidschluss und heisst blasen- und nagel-artig. Die vierte ist gewissermassen von der Gattung der blasenartigen, jedoch ist sie veraltet und verwachsen mit dem was von ihr heraustritt, aus der Hornhaut hervorkommend; und sie heisst ringförmig und ähnelt dem Ring der Spindel, welcher mit dem Gespinnst verbunden ist.]
64 Augenheilkunde des Ibn Sina, zweiter Abschnitt.
Oberflächen des Hirns. Die Speisen seien von gutem Saft, ge- mässigt, kalt und feucht; die übrige Lebensweise entsprechend. So lange es eine Pustel bleibt, muss sie gereift und behan- delt werden mit der Behandlung der Geschwüre. Wenn es aber geschwürig wird, so lege Umschläge auf, aus zusammen- ziehenden Mitteln nebst ausziehenden, als da sind Quitten und Linsen, beide mit Honig gekocht, und Granat-Blüthe und Oliven- blätter-Saft und Eidotter und Safran und Granatapfel-Pulpe, mit einem wenig Essig gekocht und mit dem Saft unreifer Oliven aus Jemen: daraus macht man einen Umschlag. Oder, wenn es vertragen wird, träufelt man es in das Auge, zusammen mit Stärke und ähnlichen Dingen.
Ist aber Durchbruch (bereits) eingetreten, so wende man (auch) die Behandlung des Durchbruchs an. Der ameisen- ähnliche (Vorfall) werde behandelt mit hemmenden Mitteln, welche zusammenziehen1, und mittelst der Bähungen mit Essig und Wasser und Galläpfel-Wein, und mit Wasser, in dem Rosen aufgekocht sind. Man reibe ein mit zusammenziehenden Collyrien. Zu den hierbei hilfreichen Mitteln gehört der Saft der Oelbaum- Blätter und der des Hirtenstabs.
Zu den einfachen Mitteln von zusammenziehender Wirkung gehört Narde, Eosen, gebranntes Blei, weisser Thon und Siegel- Erde, Bleiweiss. Und von Pulvern zwei Theile Galläpfel zu 10 Theilen Antimon. Und von den Collyrien Hanun und Agardinun und Barutinun und Dijalnas und das arabische Collyr; und zu den stärkeren gehört das Collyr Beritusa s.2 Und, wenn dann etwas eingeträufelt worden, so werde ein Ver-
1 Bei Paul. (III, c. 22, § 24) folgt unmittelbar auf das in Anm. 1 des vorigen Kapitels Erwähnte das folgende: ei per in öXLyov ä/Qi (jLvlo- x6(pälov xft rfjg 7iQ0nTh)(i6(og Sir], jaig anoxQOvauxalg xai ntXovaaig avxb xqtj- aieov dvväfievL, reo je %icö xai (paico nah vagdiveo xal @eodoiicp tg3 xe öta &akliag xal reo dia xegaiog.
2 Nicht alle diese verdorbenen Namen lassen sich richtigstellen. Hanun scheint %iov zu sein, Agardinun vüqÖlvov, Dijalnas dia fraXUag, Beritusas dia ueqaiog. Alle diese finden sich im VII. Buch des Paul. (S. 280—283) nebst der Zusammensetzung, die meist metallische, zusammen- ziehende Stoffe aufweist. Das arabische Collyr enthält Weihrauch. — Für die sonderbaren Namen der lat. Uebers. (hamir, handumir, bedizin, berdene) sucht der Comment. J a c o b. de part. Rezepte aus M e s u e , I, I, V, c. 4.
Siebentes Kap. Behandlungen. Achtes Kap. Pusteln im Auge. 65
band angelegt, und der (Kranke) schlafe auf dem Rücken. Eecept eines starken Mittels für dieses (Leiden): Genommen wird Asche unter dem Schmelztiegel, in dem das Erz gereinigt wird, und Safran und Stärke und Traganth; diese werden ge- knetet mit dem Eiweiss eines an demselben Tage gelegten Hühner-Eies; zuweilen wird Jemen-Stein hinzugefügt.
Ein gutes Collyr ist Bardbiun3, es nützt (auch) bei den verschiedenen Arten der Pusteln. Sein Eecept ist das folgende. Nimm gebranntes, gewaschenes Antimon 4 Drachmen, gebranntes gewaschenes Blei weiss 6 Drachmen, indisches Lycium (Catechu) 16, Narde 8, Polei 2, gebranntes, gewaschenes gelbes Galmei 8, gelbe Akazie 20, Bibergeil 7, ebensoviel Aloe, Gummi 20 Dr.: sie werden verrieben mit Regenwasser, und ein Collyr daraus bereitet.
Und wisse, wenn ein Geschwür hervorzuragen anfängt, so musst du dem Auge einen Verband anlegen4 und Rückenlage beobachten lassen.
Für den Nagel giebt es keine Heilung.6 Einige (Aerzte) (pflegen), aus kosmetischen Zwecken6, die Hervorragung des Vorfalls abzuschneiden. Doch richtiger ist es, dass nicht ge- schnitten, und nicht daran gerührt wird. Denn mitunter er- giesst sich die Materie und wendet sich dem andren Auge zu.7
Achtes Kapitel.
Von den Pusteln im Auge.
Derjenige Theil (der Pustel), welcher sich auf der Hornhaut befindet, neigt zur weissen Farbe, und derjenige, welcher auf der Augapfel-Bindehaut ist, zur rothen. 1
3 Mit dem Nüqöivov stimmt das Recept nicht überein ; auch nicht mit dem Ovqäviov; etwas besser mit dem von Paul, hier gepriesenen "OXvfinoQ.
4 Paul., a. a. 0.: xai anoYyodexelv a&Xlmac.
5 Paul., a. a. 0.: levxco&evia r/ tvXco&svtck tiüv uvu'tiwv tailv.
6 Paul. (VI, c. 19) räth die Umschnürung des Staphylom, w<* [ieigiav svnqeneiav zu näa/ovii %aQi(T(t){ie&a. Vgl. Aet. , c. 37 und Gesch. d. Augenheilk. im Alterth., S. 412.
7 Es tritt Schrumpfung des operirten Auges ein und sympathische Erblindung des andren. (Quia oculi sunt alligati in cruciat. nervor. Gentil.)
1 Paul., III, c. 22, § 24: negl elxtov. — aQy[ievov de xo enl xov i% fyecog xvxXov yivö^ievov eniXrxpßüvov ti xccl xov negi^ , (öaxe xctia (xev xö e£o) Ibn Sina. 5
66 Augenheilkunde des Ibn Sina, zweiter Abschnitt.
Neuntes Kapitel.
Von den Behandlungen.
Aderlass und Einträufiung von Blut in das Auge, wie wir dies im Kapitel über den Blut-Erguss <c. 35) auseinandersetzen werden, und Bähung des Auges mit Wolle, die getränkt ist mit dem Eiweiss eines Eies, das mit Wein und Rosen-Oel verrührt worden, und Einträufiung von Milch, worin der Same des Pfeffer- krauts gethan wird, und das Blei-Collyr und das Collyr Hanafion. 1
Zehntes Kapitel.
Von dem Eiter unter der Hornhaut.1
Dieser Eiter wird unter der Hornhaut zusammengehalten, entweder in der Tiefe, oder mehr oberflächlich. Der Theil der Hornhaut sieht aus wie der Abschnitt eines Fingernagels. Wenn dabei ein Theil der Hornhaut zerfressen wird, nennt man es ein Nagel- Geschwür.
Elftes Kapitel.
Von den Behandlungen.
Paulos1 schreibt vor, (den Eiter unter der Hornhaut) mit solchen Mitteln zu behandeln, wie Honig-Syrup und Saft des Bocks-
xrjg I'qscjc evegev&eg qxxivea&ai, xaxa de xb evdov Xevxöv. Vgl. Aet., c. 28. Es ist unsre „Rand-Phlyktaene".
K. 10. ■ xoXXvqiov Xiaxöv? Vgl. Kap. 7, Anm. 2. — Aet. empfiehlt das des Neileus.
K. 11. ! Paul., III, c. 22, § 26: 'Tnönvog 6 xeoaxoetdr/g evioxe yivexai, noxe fisv die* ßä&ovg, noxe de <5t' emnoXrjg, bvv/i nqogeoixöxog xov nvov xaxa cö axrjfia. dib xal xb nä&og bvv/a 7iQogayooevovo~i. Also fast wörtlich ebenso. Etwas genauer Aet., c. 30: buolav bvv/og dnoxofivj qpavxaalav dnoxeXeo-ij.
K. 12. « Paul. (III, c. 22, § 26) fährt fort nach dem in Anm. 1 des vorigen Kap. Mitgetheilten : axonbg ovv e'axi xrjg &eqaneiag r/ diacpoorjaai xb nvov diit iCjv [lexqicog xovxo noiovvxwv , oibv eo~xi ib {lellxqatov xal xrjg xr/Xetog b %vXbg xal xa dt olvxov xoXXovqia xö xe Xißiavbv xal xd did Xißdvov )) o-voQfj^ai xal dvaxa&uoai did xa>v la/vQOxeqbJv ola xd xe didofAvova xal xb vyeldiov. nobg de xovg dvev e'Xxüo-ecog vnonvovg xal node xco vyqoxoXXovol(p /orjaxeov.
Neunt.Kap.Beh. Zehnt. Kap. Eiter. Elft. Kap. Beh. Zwölft. Kap. Krebs. 67
hörn und, wenn er chronisch und dick geworden, mit Weihrauch- Collyr und Safran und Blei-Collyr. Oder man bringe es zum Aufbruch mit Steinklee und Leinsamen-Schleim und Abkochung von grünem Rettich, falls nicht {gleichzeitige) Augen-Entzündung diese Mittel ausschliesst. Man reinige dann mit solchen Mitteln, wie Myrrhen-Collyr und Erdrauch. Wenn kein Geschwür dabei ist, wende man das folgende Collyr an: Vitriol, Safran je eine Unze, Myrrhen \lj2 Drachmen, Honig ein Pfund. Es wird ein- gerieben, wie du weisst. Es giebt auch ein Mittel aus dem Magneten, das für Flügelfell bereitet ist. (Vgl. Kap. 25.) Ferner eines aus samischer Erde, in dem Kapitel über die Blasen be- schrieben.
Zwölftes Kapitel.
Ueber den Krebs im Auge.1
Hauptsächlich entsteht er in der Hornhaut. Seine Zeichen sind heftiger Schmerz und Ausdehnung in den Adern des Auges, heftiges Stechen, das in die Schläfen übergeht und besonders dann den Kranken befällt, wenn er sich bewegt, und Röthung in den Häuten des Auges und Kopfschmerz und Schwinden der Esslust. Der Schmerz entsteht durch alles, was Hitze in sich birgt. Die Krankheit gehört zu denen, bei welchen man nicht Heilung hoffen kann, sondern nur Linderung. In keinem andren Organ verursacht der Krebs solchen Schmerz, wie im Auge. Die Anwendung der scharfen Mittel schädigt den Kranken und steigert den Schmerz zum unerträglichen.
XaXxavfrov , x(j6xov ava < 7/, (j^ivqvrjg < ö, (leXnog Xi. Tx. Wie man sieht, ist das nahezu wörtlich dasselbe. Wir bemerken noch, dass arabisch qal- qadls steht = weisser Vitriol ; griechisch /«Axa^oc = eisenhaltiger Kupfer- Vitriol.
1 Dies Kapitel ist ziemlich genau nach Paul. (III, c. 22, § 30) gearbeitet: Tb [iev xaQxivcofin nä&og euii xov xEQarosiöovg, e%ov oövvrjv, duxmaiv, eqev&og c(ot> /itcjpcöv, älfrjfia vvyfjaiwdsg ewc XQOiüqxov, xcti /uaXXov, sixv (leicr&cjffiv. (O'ooexiovat je xal ngög t« dgcfiea notQO^vvoviai. iovio de jcov aviÜTOJv e'azi ib nu&og. öfxojg de na{)>]yoQT]Teov aviovg yaXctxTonoaia h.t.X. Vgl. Aet. , c. 33. Gesch. d. Augenheilk. im Alterth., S. 387, ist gezeigt, dass hauptsäch- lich Ulcus serpens und andre Hornhaut-Zerstörungen gemeint sind; gelegentlich war auch einmal eine bösartige Neubildung im Auge darunter.
68 Augenheilkunde des Ibn Sina, zweiter Abschnitt.
Dreizehntes Kapitel.
Von den Behandlungen. ]
Wenn man die Behandlung nicht ablehnen kann, so ist unser Ziel Verminderung des Schmerzes. Man reinige den Körper und die Gegend des Haupts von schlechten Säften und ernähre mit Speisen guten Safts, aus Weizen, worin keine Er- hitzung liegt. Als Getränk ist Milch zuträglich. Auf das Auge bringe man Eiweiss mit Steinklee und etwas Safran; und die weisse Augensalbe und Collyrien aus Stärke, Bleiweiss, Gummi und Opium; und alles, was die übrigen lindernden und be- täubenden Stoffe enthält und das Collyr des Severus und das von Mamun und eine Wachssalbe aus Eidotter und Rosen-Oel.
Vierzehntes Kapitel.
Von der Fistel1 und der Entzündung im Augen- Winkel.
Zuweilen tritt eine Hervorragung auf in den Thränen- winkeln des Auges. Bisweilen ist sie hart und bewegt sich
K. 13. * Auch dies Kapitel ist so ziemlich nach Paul. (a. a. 0.) gearbeitet. Vgl. Anm. 1 des vorigen Kap. yalaxTonoaia xai t/J to»; oitijqiüv je xai äklcog ev/vfiav edeapitTcov nqoGcpoqa , /(oqig dnäarjg ÖQifxvTTjiog. xai xollov- qlcjv änaXcov ey/vcrei olov anodiaxco, aeßrjQiava xai xolg naganlrjaioig. ixqo- vosia&ai de xai jrjg zov ölov acöfiaTog svxQaaia. Das aschfarbene Collyr gehört zu den linden und enthält Weihrauch, Antimon, Bleiweiss u. A. Das Severische enthält Galmei, Bleiweiss, Traganth, Bockshornsaft. Im arabischen Text steht Collyr Samardion, wohl für Severianon.
K. 14. ! Dass dies Kap. von Ibn Sina aus griechischen Quellen entlehnt ist, folgt schon aus dem von ihm bewahrten griechischen Krankheits-Namen (Anchilops). Aber seine Hauptquelle, Paulos, ist hier gerade sehr kurz (III, c. 22, § 12): 0 [iev alyHcoip dn6(TTi]fxä tun (j.6ia£v tov ^eyäkov xav&ov xai zrjg Qivbg Qijyvvfievov xe xai sl dfieledsirj Gvoiyyov[j.evov ecog ouzeov. nqiv d' tj elg elxog exQayfj ro dnöazrjfia, ay%ilcoy leyeTai. Doch kommt Paulos im Chirurg. Theil (VI, c. 22) noch einmal auf diese Krankheit zurück. Diese Abhandlungen hat Ibn Sina in unsrem Kapitel mehrfach benutzt: doch ist er ausführlicher und scheint auch auf die (bei Aet , c. 37) über- lieferte Abhandlung des Severus und die des Archigenes (Galen, örtl. Heilmittel, V, c. 2) zurückzugreifen. — Arab. garab.
Dreizehn tes Kap. Behandl. Vierzehntes Kap. Fistel u. Entz. im Aug. -Winkel. 69
bei der Berührung und bricht nicht auf und ist von der Art der Drüsen. Die häufigste Art ihres Vorkommens ist die, dass eine Hervorragung im Thränenwinkel gesehen wird; diagnosti- cirt wird sie mit dem Ausdrücken; aber das Ausdrücken ist schmerzhaft, und dabei steigert sich die Augen-Entzündung. Bis- weilen ist die Hervorragung pustelartig und bewirkt einen Abscess und bricht auf und hinterlässt dann meistens eine Fistel. Beide Formen kommen darin überein, dass jede von ihnen unter der Berührung sich bewegt, beim Drücken einsinkt und beim Nachlass desselben wieder hervortritt. Zuweilen ist ihre Substanz eine Pustel, und ihre Hervorragung nach der Tiefe zu, so dass sie nicht aussen hervortritt; aber ihr Zeichen ist Jucken, und gelegentlich vermag die Hand bei stärkerem Druck sie nachzuweisen.
(Diese Krankheit) ist (also) eine Fistel, die entsteht im inneren Winkel des Auges; und gewöhnlich folgt sie auf die Her- vorragung und die Pustel, die in diesem Ort erscheint; danach erst bricht sie durch und wird zur Fistel. Diese Hervorragung heisst, bevor sie aufbricht, Anchilops.2
Weil (nun) der befallene Theil nur dünn von Substanz3 ist, so erscheint das ganze vom inneren Ende bis zum äusseren wie eine Höhlung, an deren einer Seite du das Nasenbein findest, an der anderen den Augapfel.
Wenn es nun durchbricht, so bleibt eine Lücke zurück4 sowie Schwierigkeit der Vernarb ung, da der Theil feucht ist und dazu noch ständig sich bewegt; und deshalb wird daraus eine Fistel. Der Durchbruch erfolgt manchmal nach aussen5, manchmal nach innen; auf der rechten oder der linken Seite (des Körpers), zuweilen gleichzeitig auf beiden Seiten. Oefters geht der Durchbruch in die Nase hinein und ergiesst sich in dieselbe. Zuweilen dringt die Vereiterung zum Knochen und zerstört, schwärzt und zerfrisst denselben und zerstört auch die
2 Arabisch ah litis, verdorben aus ay/ttcoip. Wäre nicht der Absatz genau nach Paulus gearbeitet (s. Anm. 1), so könnte man denselben für eingeschoben ansehen.
8 Paul., VI, c. 22: öiä re xwv aco^äibiv i7/r lemoTfjxa.
4 Die latein. Uebersetzung descendit penetrando ist ungenau.
' Paul., a. a. 0.: et fJ-h oin> tiqo^ n)v enupäveiav iqqüyrj ib dnointjfia.
70 Augenheilkunde des Ibn Sina, zweiter Abschnitt.
Lidknorpel und füllt <(auch) das Auge (d. h. den Bindehaut-Sack) mit Eiter, welcher hervortritt beim Druck (auf die Thränen- Geschwulst).
Fünfzehntes Kapitel. Von den Behandlungen.1
Die Thränenfistel ist eine chronische Krankheit. Ihre ge- lindeste Form ist die frische. Diese kann geheilt werden mit leichten Mitteln, die wir <bald) angeben werden.
Wenn sie aber ^schon) eingewurzelt ist, so besteht die wahre Kur in dem Brennen, das wir <(sogleich) beschreiben werden, oder in dem jenes vertretenden Aetzmittel.
Man beginne die Kur, indem man die Fistel mit einem Läppchen abreibt; dann bereite man eine Wicke mit dem Aetz- mittel und fülle damit {die Fistel) aus. Einige sind der Ansicht, dass es von grossem Nutzen ist, die Fistel zu reinigen, von dem abgestorbenen Fleisch zu befreien und dann auszufüllen mit Baumwolle, die in einer Abkochung von Johannisbrot-Schoten getränkt ist.
Wenn Jemand Mittel anwenden will ohne Brennen, so ist es am besten, den Inhalt auszudrücken, dann auszuwaschen mit herbem Wein, den man auch einträufelt. Und wenn der Inhalt zu gering ist, und nichts herauskommt, so lasse man es zwei Tage oder drei unter Verband, bis eine genügende Menge sich an- sammelt; dann drücke man aus und wasche danach aus und träufle das Fistel- Collyr ein, das Muhammad b. Zakarijä nach sich benannt hat, und besonders seine Auflösung in Galläpfel- Abkochung. Am besten ist es, stündlich einmal einzuträufeln.2
Zu der besten Behandlung gehört ferner, die Tiefe des Ab- scesses mit einer Sonde zu messen ; und hierauf die letztere mit
1 Ibn Sina hat auch in diesem Kap. Paulos vor Augen gehabt, ist aber weit ausführlicher.
2 Der vielfach und oft mit Unrecht getadelte Wortrcichthum der Araber tritt in diesem Satz recht deutlich hervor : „Die beste Einträuf lung ist, dass eingeträufelt wird eine Einträuf hing nach der andern, zwischen je zwei Einträuflungen eine Stunde".
Fünfzehntes Kapitel. Von den Behandlungen. 71
Baumwolle zu umwickeln, welche in das Heilmittel getaucht worden, — sei es nun ein flüssiges oder ein pulverförmiges, — und so einzuführen. Das eingeführte Heilmittel muss mittelst eines Tuches festgehalten und (danach) Ruhe beobachtet werden.
Zu den erprobten Collyrien gehört das folgende: Nimm rothen Arsen, Lederbeize (eisenhaltigen Kupfer- Vitriol), spanische Fliegen, Kalk, Ammon'sches Steinsalz zu gleichen Theilen; mische dies gut zusammen, verreibe es mit Knaben-Harn, trockne es und wende es trocken an.
Zuweilen ist es aber nützlich, im Anfang der Krankheit und vor dem Aufbruch Lederbeize aufzulegen und Ammon'sches Harz und Läusekraut 3 und ebenso die ranzige Nuss 4 und alles, was wenig5 auflösende Kraft besitzt. Wenn man Blätter der Garten-Raute6 mit Aschen-Lauge verreibt und über den Thränen-Abscess legt, bevor er zum Knochen vordringt, und auch danach; so bewirkt das Fleisch- Ansatz und verbessert das Fleisch. Aber (dies Mittel) beisst im Anfang, später jedoch nicht mehr.
Und wenn dann Fistel entsteht, merk' dir die Grundregel für dieselbe: erst reinigen, dann verheilen. Zu den reinigenden Mitteln gehört das folgende: Nimm von der Haut des Rohrs, welche innen sitzt, namentlich nahe der Wurzel, wo sie eine gewisse Dicke erreicht; tauche sie in Honig und lege sie auf die Fistel: das reinigt dieselbe. Dann wasche die Stelle mit einem Schwamm, der in Honigwasser getaucht ist. Mitunter wendet man danach das Häutchen des Rohrs trocken an, allein, ohne andre trocknende Mittel, und das genügt. Zu den für Thränenfistel erprobten Mitteln7 gehört auch das Collyr aus
3 Archigenes bei Galen, von den örtl. Heilm., V, 2: aiayida (xyQiav xcth 'A(j.ficonax6v ßvfjlaf.ia . . . d>g (inXrjviov enl&eg.
4 Dioscurides, Heilmittellehre, I, c. 188: xuv de naXaiwv itaqvMv Tot fiWoc . . . xal aiylXconag . . . eni&evia iaxai.
5 Arab. wenig, lat. fortig.
6 Paul., III, c. 22, § 12: ILiiyavov rjfjieQOv äfia nQcozo<JTÜXTfp Xeiov- pevop xal etfjöfievov xal enLTi&e^evop nävv xaXug avcwxevätei jovg aiyiXianag xal ä/Qi tov oaieov xäieiaiv, xav3 otQXas däxvov, vcftsqop de ovx etc. Also ziemlich genau übereinstimmend.
7 Paul., III, c. 22, § 12: xaXcog ovv notei xal ykavxiov xal xqöxog äfia Xvko neQÖixiäöog tnLTt&sfieva , irvvexcjg de aXXäiweiv XQV- Also ziemlich ebenso. Jlegdixtäg, neqöixiov , sonst iX£ivr) (Theophr. , Gesch. d. Pfl., I,
72 Augenheilkunde des Ibn Sina, zweiter Abschnitt.
Schöllkraut und Myrrhen und Safran mit Löwenzahn-Abkochung. Man muss den Umschlag unablässig wechseln.
Zu diesen Mitteln gehören auch Schnecken, die samt ihren Muscheln verrieben werden; dazu fügt man Myrrhe und iUoe und wendet es an8; denn es gehört zu den Mitteln, welche bei der Krankheit helfen, wenn sie nach der Pustel-Bildung und noch nicht abscedirt ist; und es nützt auch dann, wenn schon ein Geschwür daraus hervorgegangen ist.
Hierhergehört auch das folgende: Geröstete Austern, Safran, trockner Löwenzahn, mit Sumach-Aufguss, der besonnt worden. Zu den wunderbar wirkenden Mitteln9 gehören Rauten-Blätter mit Granatäpfel- Abkochung, als Umschlag. Ihre Haupteigen- schaft besteht darin, dass sie das Zurückbleiben jeder Spur von Entstellung hindert. Man darf sich aber nicht um ihr Beissen kümmern.
Zu den Mitteln, welche den hervorragenden Abscess zum Aufbruch bringen, gehört ein Umschlag von Brot mit dem Samen von Mairan und Weihrauch mit Frauenmilch; oder Safran mit Kohl- Abkochung; oder Myrrhe mit ihrem Drittel arabischen Gummis, zusammengerührt mit Kuh-Galle: dies bindet man darüber und rührt es nicht an bis zur Heilung.
Zu den Mitteln, welche die Fistel heilen, gehört eine Wicke mit erstarrter Kupferblüthe nebst Weihrauch und Ammon'schem Steinsalz. Die Inder meinen, dass gekaute Mongo-Bohnen heilen. Und einige von ihnen glauben, dass schon Myrrhe allein heilt, wenn sie aufgelegt wird.
Zu den erprobten Pulvern gehört das folgende: Lilien 1 Theil, Amei 1/3 ; dies zerreibt man zu Pulver und legt es auf. Es giebt auch ein Mittel, zusammengesetzt aus Kupfer-Feilspähnen, Alaun und Steinsalz, das ist nützlich dafür und heilsam. Zu
6, 11), Parietaria offic. L. Bei Ibn Sina steht dafür Löwenzahn (Talahsuqüq).
8 Paul., a. a. 0.: Ko'/^iovg fisia tööv ourqäiKov keicotrag xovio eni&ov, sau 8' nie xcti alörjg r] (TfivQvrjg Eni[Aiypvnsv>/g tovtw, nQog ib sig nvov fjeiaßlrjdrjvai tov aiyttconct. xai fiein to gayr/pai de ^rjqaivei. Also ziem- lich ebenso.
9 Nach den in Anm. 6 angeführten Worten fahrt Paul, folgender- niassen fort: unl ib &av[ia(jibi', (in ovie ovXtjv aaxrjfxov ojeqovcfiv.
Fünfzehntes Kapitel. Von den Behandlungen. 73
den schärfsten Mitteln gehört Lederbeize, Aloe, persisches Gummi, geröstete Weihrauch-Rinde, Schöllkraut — zu gleichen Theilen: man streue es in den Thränenwinkel. Ebenso Aloe allein mit Weihrauch-Rinde.
Erwäge auch die übrigen Mittel, welche ich in dem Abschnitt von der Arzneimittel-Lehre {V) bespreche, und insbesondere das scharfe grüne Mittel und betrachte die Tabellen der einfachen Mittel. <II, ii.>
Wenn aber die Krankheit den Knochen erreicht und nicht durch die geschriebenen) Mittel geheilt wird, dann muss man die Fistel aufspalten und ihre Innenfläche freilegen und das etwa vorhandene todte Fleisch entfernen, bis man zu dem Knochen gelangt.10 Die weitere Behandlung geschieht nach drei Weisen.
Wenn der Knochen selber noch gesund ist, so kratzt man das Schwarze ab, das etwa in der Fistel sichtbar ist, und füllt die letztere mit Heilmitteln, welche die Verwachsung befördern, verbindet und lässt es so lange Zeit.
Und, wenn die Krankheit grösser ist, wird das Brennen nothw endig. n Und öfters ist es <(ausserdem) nothwendig, in dem cariösen Knochen 12 eine Oeffnung anzulegen, welche durch- dringt: damit bezweckt man, eine Brennung zu machen, so tief, wie möglich, in dem Grunde der Höhlung; ohne abzuweichen zur Nase oder zum Auge, damit nicht die Bindehaut nach der Nase hin in die Tiefe gleite. 13 Wenn die Stelle mit einem Loch durchbohrt wird oder mit drei kleinen, und das Blut durch- dringt und nach der Seite der Nase und des Mundes14 hinfiiesst, dann wird eine ausgiebige Brennung gemacht, mit Vorsicht, dass sie nicht das Auge treffe. Vielmehr ist nothwendig, dass das Auge weit (abgewendet) gehalten werde. Dann wird gebrannt,
10 Paul., VI, c. 22: negisleiv Sei nav to enaveai^xog ä/gig ogtsov.
11 Paul., VI, c. 22: diey&OQÖTog de (zov öareov), nvQrjvoEideac xct»/- Qioig diaxavaofxsv, anöfyov yjv/Qh diüßgo/ov eni&ivTeg to) ocp&al^rj).
12 Arabisch lahm = Fleisch. Aber der Sinn verlangt Knochen = 'azm.
13 Arabisch „fliesst". Die latein. Umschreibung ist ungenau: ne removeatur vel ne extrahatur conjunctiva. Wie so häufig, ist auch hier die arabische Beschreibung der Operation nicht plastisch.
14 Arabisch „des Mundes und der Nase".
74 Augenheilkunde des Ibn Sina, zweiter Abschnitt.
danach Pulver eingestreut und verbunden. Bisweilen enthebt uns das Brennen schon von der Durchbohrung. 15 Man begnüge sich mit dem ersteren, so weit es möglich ist.
Das Kopfmittel16 gehört zu den guten auf diesem Gebiet.
Wenn man die Brennung vornimmt, muss man die Wunde mit einem Pulver bestreuen, auf das Auge selbst aber einen Schwamm legen17, der mit kaltem Wasser getränkt ist, oder einen lockren Teig, der mit Schnee gekühlt ist, und ihn wechseln, sowie das Mittel im Begriff ist, warm zu werden.
Sechzehntes Kapitel.
Ueber Vergrösserung und Verkleinerung des Thränen-
wärzchens. l
Bisweilen vergrössert sich die Karunkel so stark, dass sie das Sehen hindert. Bisweilen verkleinert sie sich so sehr, dass sie verschwindet und nicht mehr die Thränen zurückhält: das letztere ist zumeist die Folge eines Kunstfehlers2 beim Aus- schneiden des Flügelfells.
Die Vergrösserung des Thränenwärzchens wird durch die Mittel gegen Flügelfell geheilt; dies soll aber nicht so radical geschehen, dass Thrän enträufeln zurückbleibt.3
15 Paul., VI, c. 22: Tcveg . . . xqvnävo) xqij(tA(jl6voi . . . xb nvov eig T))i> niva [iBir/yayov. 'H^ietg de xjj xavuec (aovj] TjQxeafrrjiiev.
16 Arabisch „ad-dawä ar-ra'sl". Die latein. Uebersetzung hat „inedi- camentum alrasium. Das heisst nicht „Mittel des Rases". Vgl. Galen, von den örtl. Heilmitteln, V, c. 2 (nach Archigenes): xaxaxixqa . . . , eixa rfj xEcpaXutfj /Qu. Ueber die (adstringirenden) Kopf-Mittel vgl. Gorr., S. 224. (Ibn Sina, in synonymis: abresium, med. capitale.) Wie Ibn Sina den al-Razi wirklich citirt, haben wir oben in Kap. 15 kennen gelernt.
17 Vgl. Anm. 11.
1 Paul., III, c. 22, § 22 u. 23: Hegi eyxav&Ldiöv xal Qvädayv. 'S eyxav&hg vneqav^rjaig eaxi xov yvaixov xaxa xbv fieyav xav&bv aaqxlov. fj de Qvag av, xovxov (leuoaig. Vgl. Gesch. d. Augenheilk. im Alterth., S 173 und § 240.
2 Paul., a. a. O. : dnb %eiQOVQyiag axe/vov.
3 Paul., a. a. 0.: Tag fiev eyxav&ldag xotg xe nqbg exxQÖma Xe/Öeim xai xolg naqanlrjaiotg xavauxotc rj (Tr/nxoig av exdanavijaeiag, fttj ölac, im ur/ Qvag nähr yevrjxai.
Sechzehntes Kap. Vergrösserung u.s.w. Siebzehntes Kap. Weissfleck u.s.w. 75
Aber die Verkleinerung, welche von Operation herrührt, ist unheilbar.4 Wenn dieselbe jedoch von andrer Ursache be- dingt ist, so kann man sie mitunter heilen5, durch Mittel, welche Fleisch erzeugen, z. B. diejenigen, in denen Austrocknung und Zusammenziehung liegt, wie die aus Schöllkraut, Safran, Aloe mit Wein; und die Heilmittel aus Aloe und Bilsenkraut mit Wein. Auch Aloe allein ist nützlich, über die Thränengegend gepulvert. Auch Wein für sich ist nützlich, besonders aber, wenn ein Mittel von zusammenziehender Eigenschaft darin ge- kocht worden.6
Siebzehntes Kapitel.
Von dem Weissfleck1 des Auges.
Wisse, die eine Art von Weissfleck im Auge ist zart und entsteht auf der Oberfläche desselben und heisst Wolke; und die andre ist dick und wird schlechtweg Weissfleck genannt. Beide entstehen aus der Vernarbung eines Geschwürs oder aus einer Pustel, wenn sie nach dem Aufbruch vernarbt ist.
Achtzehntes Kapitel.
Behandlungen.
Wenn der dünne Fleck bei zarter Constitution vorkommt, muss man Bähungen mit warmem Wasser lange anwenden und warme Bäder. Darauf folge beharrliches Lecken.
4 Paul., a. a. 0.: t«£ de ovädag, öXov {iev exdanavrj&ei>xog /) dnb yei- QOVQyiag dxe/vov t) dtd (paqfiäxbiv xov aaQxcödovg, dviäxovg l'a&i.
8 Paul., a. a. 0.: ei de [i6Qog avxcov ey[iei(ü&i], xoig fiexQicjg (TTvcpovtn xal (jaQxovinv avxb enava&Qeipeiag.
6 Paul., a. a. 0.: ola xa dia xqoxov xal yhxvxlov xal akörjg, xal xa öuxxQOxa xcöv xoIXovqicov, xal vofjxvajjog ev ol'va etpr/frelg xal kmxi&e/jieyog xal oklyt] (Txvnxr]Qia <jvp oXvcü. Man sieht, dass dieses Kapitel des Ibn Sina nichts als eine freie Uebersetzung des Paulos darstellt. Paulos aber hat Begriff und Behandlung der Encanthis aus Galenos, B.VI, S. 870, B. VII, S. 732, B. X, S. 988; die Behandlung der Rhyas aus (ralenos, Heilsyst, XIV, c. 16 (B. X, S. 102). Vgl. B. XII, S. 774.
K. 17. l Paul., III, c. 22, § 28: HsqI ovluv xal levxcö(xäx(üv. Tag em- nolrjg fiei> yivo^evag ev xok öfffraXpotg ovXag ot fih avib dr/ {tövov ovlag, ol de vecpeluov xaXovtriv, rag de dia ßä&ovg Xevxiöfjiaxa. Vgl. Gesch. d. Augen- hcilk. im Altcrth., ö. 384, 261, 86.
76 Augenheilkunde des Ibn Sina, zweiter Abschnitt.
Bisweilen hilft der Saft der Anemone1 und der Saft des kleinen Tausendgüldenkrauts. Ferner 1 Theil Lilien, 2/;i Amei, man bereite daraus ein Pulver. Wirksamer ist es, persisches Gummi zu nehmen, weissen Zucker, Meeres-Schaum (Schwamm), Osterluzei, Salpeter; man zerreibe es und streue das Pulver ein.
Zu den nützlichen Mitteln gehört auch das Collyr „Stern des Magnus"2, starkes Blei -Collyr, das styptische und das Trachom-Mittel.
Aber gegen den eingewurzelten, dicken Weissfleck3, bei dickleibigen Kranken, muss die Erweichung des Weissflecks angebahnt werden mittelst der Bähungen und der Bäder, die schon genannt sind. Auch sollen die erwähnten Augenmittel, mit welchen eingerieben wird, in Kalmus-Wasser gelöst werden, oder in einer Auflösung des zerstossenen Steinsalzes.4 Man reibe damit auch ein während des Bades.
Und, wenn die Bäder nicht nützen, reibe man ein mit Pech und gebranntem Erz, nachdem man daraus ein Collyr hergestellt hat, und ein Collyr aus Hirschhorn.5 Ferner ein Collyr aus dem Koth der Eidechse, entweder allein oder mit Glas-Schaum G oder mit gebranntem Erz oder geröstetem Steinsalz. Noch stärker ist Schwalbenkoth mit Waben oder Honig und Koth des Land-Krokodils7, man pulvert damit ein des Morgens und des Abends.
Zu den erprobten Arzneien gehört auch gerösteter Burzel- dorn mit Seekrebs und goldfarbigem Zink-Erz. Wenn der Weiss-
K. 18. ' Paul., a. a. 0.: xa fiev ovv vecpeXta. xrjg fiveficjpi/g 6 /vÄöc anoafirjxsi.
2 Arab. astrimahun. Vgl. unser Arznei-Register.
3 Paul., a. a. 0.: xa de Xevxcofxnxa vixqov . . . ocnoirfii'/xei.
4 Paul., a. a. 0.: Xvaag vdocxi Kannodoxixovg äXag.
5 Paul., a. a. 0.: xo dia xegaxog eXacpiov.
6 Aet. (S. 196, Aegilops): veXov Xeccüaavxeg xvooideaxaTa emnäxxo-
(.ItV &JQOP.
7 Arabisch Säm abras. Vgl. Paul., a. a. 0. : rj xqoxodeiXov x^Q- aaiov xotiqov und (ralen, Bd. XI, S. 760: >) tC>v xooxodelXcav de xCov x^Q- (jaUov (elxtiXTJ) und B. XII, S. 308: Tr\v de xuv /e^xratwr xQoxodeiXwv xov- xbiv iuv fiixq&v TS xnl xnfJLntQ^n^)V xöttqov. Es sind also die grösseren Ei- dechsen gemeint.
Achtzehntes Kapitel. Behandlungen. 77
fleck in die Tiefe dringt, verabreiche Schöllkraut8, Ammon'sches Harz, Myrrhe, Eidechsenkoth, zu gleichen Theilen oder das Magnet-Mittel, welches im Kapitel vom Flügelfell (c. 23) genannt wird. Zuweilen verordnet man Tincturen9, zur Färbung des Weissfiecks. Hierzu gehört das folgende. Man nehme Abfall von Blüthen kleiner Granatäpfel, Akazie, Vitriol, Gummi je eine Unze, Antimon und Galläpfel je 3 Drachmen und löse es in Wasser10. Wenn man des Granatapfel-Baumes Blüthen nicht vorfindet, so nimmt man seine Rinde oder seine Kelche oder die pulpöse Haut zwischen den Kernen.11 Und ferner von Gall- äpfeln und Akazie je 2 Drachmen, Vitriol eine Drachme, daraus bereite man eine Tinctur. 12
Zu den Färbemitteln gehört auch das folgende Pulver: Gebranntes und gewaschenes Blei, Safran, Gummi je 2 Drachmen, Asche aus einem Erzguss-Ofen, gewaschen mit Regen- wasser, 2 Drachmen, gewaschene Kupfer- Schlacke x/2 Drachme: daraus werde ein Pulver bereitet. Ein andres Mittel, besonders nützlich, ist Kolkotar (Vitriol13), grüne Galläpfel, je 4 Drachmen:
8 Paul., a. a. 0.: [iafiiQa, (xfificüviaxov S-vfiiäfiuTog, u^vqvi]g tQcoyli- ztöog, xqoxoöslXcüv xönqov i'aa. Hier hat Paul, ein arabisches Wort. (Vgl. Mamiran im Arznei-Register.)
9 Paul, hat III, c. 22, § 29: Ovkav ßü^ifiam. Vgl. Gesch. d. Augen- heilk. im Alterth., S. 385.
10 Paul., a. a. 0.: Qoutg av&ovg, tüjv xvilvcov, %<xkxüv&ov, axaxlug dva <y. ö, GTifiscog, xtjxiöog dva y. ß. vdaji Xeiov. Die Mittel sind fast dieselben, die Gabe eine andre. Im Arabischen steht qalqadis, das gewöhnlich für weissen oder Zink -Vitriol genommen, aber auch mit qalqant (eisenhal- tigem) KupferVitriol verwechselt wird.
11 Paul., a. a. 0.: Mq naqöviog av&ovg Qoutg, xb ivibg fieia^v zuv xöxxav vfievGjdeg piywe. Aehnlich Aet, c. 42. Vgl. Oreibas., V, S. 714.
12 Paul., a. a. 0.: Krjxiöog, dxaxiag dva f. Ö, %aXxdv&ov y. ß, xol- lovqiov de TOVTO.
13 Ueber die Vitriole vgl. zäg, in unsrem Arznei-Register. Qolqotär ist ein mehr eisenhaltiger, Qalqant ein mehr kupferhaltiger Vitriol; doch ist der letztere auch nicht eisenfrei. Die Griechen (Galen, XII, S. 739; Aet., c. 42, 8. 103) färbten die Leukome, wie die Schuster Naturleder schwärzen: auf das gelohete Leder wird eine Lösung von Kupfer- und Eisen- Vitriol aufgetragen; das Kupfer ist die Beize, das Eisensalz dringt ein und bildet im Gewebe einen schwarzen, unlöslichen Niederschlag von gerbsaurem Eisenoxyd, d. h. von Tinte. Vgl. Gesch. d. Augenheilk. im Alterth., S. 386 und Centralbl. f. Augenheilk. 1887, S. 72.
78 Augenheilkunde des Ibn Sina, zweiter Abschnitt.
aufzulösen in Wasser und häufig anzuwenden. Ein andres: Galläpfel, Akazie je 1 Theil, Kaikant (Vitriol) l/2 Theil, ver- rieben mit dem Wasser der Anemone.14
Neunzehntes Kapitel.
Vom Hornhaut-Fell (Sebel, Pannus).1
Sebel ist ein Häutchen, welches am Auge entsteht in Folge von Erweiterung seiner Blut- Adern, die an der Oberfläche der Bindehaut und Hornhaut erscheinen; und es bildet sich ein Ge- webe in den Zwischenräumen zwischen jenen, wie Kauch. Die Ursache <(dieser Bildung) ist Ueberfüllung der genannten Blut- Adern, von Materie, die zum Auge fliesst, sei es auf dem Wege
14 [Und ebenfalls die Einreibung mit Tauben- und Sperling-Koth.] Offenbar eine Einschiebung aus späterer Zeit, welche in der lateinischen Uebersetzung fehlt.
1 Diese wichtige Krankheit (Hornhaut-Fell in Folge von Körnerkrank- heiten, sogen, pannus trachomatosus) ist von den Griechen (die allerdings Hornhautgeschwüre bei Trachom gut kennen, s. Galen, B. XII, S. 709) nirgends beschrieben, ja nicht einmal genannt, selbst nicht in des Severus ausführlichem Kapitel neql TQaxcofiänov, das uns bei Aetios (c. 45) über- liefert ist. [Wenn sie in dem latein. Buche de oculis, VI, c. 10, erwähnt wird, so stützt dies nur die Ansicht, dass diese Schrift keineswegs von Galen , sondern von einem Araber herrührt.] Merkwürdig ist, dass Ibn Sina gar keine Beziehung zwischen Sebel und „Lidkrätze", wie die Araber das Trachom der Griechen nannten, zuzulassen scheint. Al-Eazi ist in diesem Punkt viel brauchbarer. (An Almansor, IX, c. 19. Ueber Lidkrätze und Sebel. Wenn man das Lid umdreht und seine Innenfläche roth und rauh erscheint, so besteht Lidkrätze. Und wenn über dem Weissen des Auges und dem Schwarzen gewissermassen eine Haut erscheint, die aus rothen und dicken Blut- Adern gewebt ist, so besteht die Krankheit, welche Sebel heisst. Diese Krankheiten sind schwer und chronisch und kaum heilbar.) So schädlich es also für die Wissenschaft gewesen, dass die Araber an Stelle des klaren, anatomischen Begriffs der Griechen, Trachoma, den verschwommenen der Lidkrätze, nimasun, gesetzt; so wichtig war es doch, dass sie die Hauptfolge der Körnerkrankheit, das Hornhaut-Fell, genau beschrieben und Heilmittel dafür angegeben haben, — sogar solche, die noch in unsren Tagen von europäischen Augenärzten wieder von Neuem gepriesen werden. Vgl. Hirschberg, über die körnige Augen-Entz. (Klin. Jahrb. VI, 1897) u. unser Register d. anat. u. path. Namen, Säbel.
Neunzehntes Kapitel. Zwanzigstes Kapitel. Einundzwanzigstes Kapitel. 79
der äusseren Haut, sei es auf dem Wege der inneren, in Folge von Ueberfiillung des Kopfs und Schwäche der Augen.
Zuweilen entsteht aus dem Sebel Jucken und Thränen und Fellbildung und Schädigung von Sonnen- und Kerzen-Licht, in- dem der Blick schwach ist bei beiden, weil jenes Behinderung und Beunruhigung bewirkt. Und alles schadet dem Auge, was ihm aufgelegt wird.
Bisweilen geschieht es, dass das am Sebel leidende Auge sich verkleinert und die Ausdehnung seiner Pupille sich ver- ringert.2 Sebel gehört zu den Krankheiten, welche erblich über- tragen werden und von einem Kranken auf den andren über- gehen. 3
Zwanzigstes Kapitel. Von den Merkmalen.
Das Zeichen desjenigen Pannus, dessen Ursprung die äussere Haut bildet, ist das, was ich öfters angeführt habe, betreffs des Strotzens der äusseren Blut- Adern und der Röthe des Gesichts, oder des Strotzens der Blutgefässe des Nackens.
Die Merkmale der zweiten Art des Sebel sind den erst- genannten entgegengesetzt, wie es im Kanon auseinandergesetzt wird.1 <Tr. I c. 3.)
Einundzwanzigstes Kapitel.
Behandlungen.
Bei dieser Krankheit ist alles das zu meiden, was auch bei dem an Augenfluss Erkrankten zu meiden ist, worüber ich schon gesprochen habe und jetzt nicht noch einmal reden werde; und in Gebrauch zu ziehen sind die ausleerenden und die reinigenden Mittel, die ich auch schon angeführt habe.
2 Iritis ex panno, Atroph, bulbi.
3 Richtig.
1 Hier dürfte nicht das Hornhaut-Fell nach Körnerkrankheit gemeint sein, sondern andre mit Blutgefäß-Bildung einhergehende Erkrankungen der Hornhaut, die mehr auf constitutioneller Ursache beruhen.
80 Augenheilkunde des Ibn Sina, zweiter Abschnitt.
Zu meiden sind Oele und Pflaster über das Haupt. Sogar die kopfreinigenden Mittel werden hier verworfen; aber ich sehe keinen Nachtheil in ihrem Gebrauch, wenn der Kopf rein wird. Und Galen1 hat sogar gestattet, dass im Getränk Wein verabreicht werde, um <^den Kranken) danach in Schlaf zu bringen, wenn er rein sei und keine Materie im Körper und Kopf habe. Und dies scheint zu passen für leichten Pannus. Bei starkem Pannus ist jedoch der Schnitt unvermeidlich. Am besten ist es, zahlreiche Fäden unter die Blut-Adern durch- zuführen und die ersteren zusammenzufassen und zu vereinigen und mittelst derselben das Fell zu erheben und es einzuschneiden mit einer scharfspitzigen Scheere, so dass nichts zurückbleibt.2
Dann leitet man die Behandlung ein zur Verhinderung der Verwachsung, wie im Kapitel vom Flügelfell (c. 23) erklärt werden soll. Und, wenn das Auge in Folge des Einschnitts schmerzt, so soll man ihm ja nicht das Eigelb entziehen; denn dies hat Heilwirkung. Danach verordne man das rothe und das grüne Collyr, damit der Rest des Fells aufgelöst, und das Auge gereinigt werde.
Die beste Zeit für den Schnitt ist Frühjahr und Herbst. Aber er soll erst nach der Reinigung und Entleerung gemacht werden. Denn macht man ihn vor der Entleerung, so bewirkt der Schmerz, dass die Ausscheidungen nach dem Auge hin sich wenden.
Die <(örtlichen) Heilmittel, welche ^überhaupt) bei dem Sebel nützlich sind, nützen meistens nur in frischen Fällen. Zu den erprobten gehört das folgende. Man nimmt die Schale eines frischen Eies, sowie es von der Henne gelegt ist, und lässt es in Essig sieden, 10 Tage lang; dann wird es gesiebt und im
1 Allerdings spricht Galenos (B. XVIIIa, S. 49, in s. Commentar zu Hippokr. Sprüchen, VI, 31) zunächst über einen veaviaxov ö(p&ak[j.iüjvia7 den er durch Wein zum Schlaf und zur Schmerzlosigkeit gebracht; er fügt aber allgemein hinzu: xai (jloi xtägvog tvenoirjaev, tcp' ljv botiv erawaig utfiuTog na/eog bv xolg Tüjv öip&odficijv (pXeßioig avev nhj&oqixrjg dia&eaecog iv t&5 acofiKTi olvov xQrja&m Tiöaei . . .
2 [da, wenn etwas zurückgelassen worden, die Sache werden wird, wie zuvor oder noch schlimmer.] Dies scheint ein Einschiebsel zusein, da es mit den folgenden Sätzen in Widerspruch steht.
Zweiundzwanzigstes Kapitel. Das Flügelfell. 81
Schatten getrocknet und zerrieben, und daraus ein Pulver her- gestellt.
Ferner gehört zu den erprobten Mitteln ein Pulver aus Asche, dem die gleiche Menge von Markasit hinzugefügt wird.
Ferner ein Collyr aus Urin, in dem man für einen Tag Kupfer-Feilspähne stehen Hess.
Zu den zusammengesetzten Mitteln gehört das styptische Collyr und das rothe milde und das rothe scharfe und das grüne und das Trachom - Mittel und die Augensalbe aus gebranntem Kupfer-Erz und das schon genannte Magnet-Mittel. Alle diese finden sich in unsrer Arzneimittel-Lehre. Und ferner das Collyr aus Alaun und den Blüthen des Granatapfel-Baumes.
Wenn das Fell mit der Lidkrätze zusammen vorkommt3, so ist ein Collyr aus Sumach erprobt; und dies ist entweder aus Sumach allein, oder aber man fügt zuweilen ein wenig Gummi und Sarcocoll hinzu; man bereitet daraus ein Pulver, das löst das Fell ab und beseitigt die Krätze.4
Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Das Flügelfell.1
Es ist dies eine Vermehrung (Wucherung) der Bindehaut, d. h. der Hülle, welche den Augapfel umfasst. Es beginnt ge- wöhnlich im Thränenwinkel und verbreitet sich weiter über die Bindehaut. Bisweilen bedeckt es die Hornhaut und überzieht dieselbe so weit, dass es das Sehloch verdeckt.
3 Hier haben wir wenigstens eine Andeutung des Begriffs vom sogenannten Pannus trachomatosus.
4 Im Arabischen steht ramad, Augen-Entzündung, aber der Zu- sammenhang erfordert Krätze.
1 Vgl. Gesch. d. Augenheilk. im Alterth., § 173 u. 242. Paul., III. c. 22, § 29: Tb nxeQvyiov vEVQCodrjg taxi xov tnineqpvxöxog vfxevog vnsgo/r'j, bxcpvofjisvT] [iev anb xov xav&ov, nootovaa de [is/ol xfjg axecpävrjg. öxctv dt vnEQav£rifrf} , xai xfjv xÖQrjp xaXvnxei. (Wörtlich ebenso in dem Buch von den Hausmitteln, das dem Galen fälschlich zugeschrieben wird, II, c. 5, B. XIV, S. 410). Die beste Darstellung hat Aet, c. 60. Er spricht von Xevxav&iCopia, vneQV&Qot, acrxLQQCOfieva u. A.
Ibn Sina. 6
82 Augenheilkunde des Ibn Siua, zweiter Abschnitt.
Die eine Form ist härter, die andre weicher. Zuweilen ist es gelb, zuweilen roth, zuweilen dunkel. Es giebt eine Form des Flügelfells, deren nachbarliche Lagerung zur Bindehaut in der Verklebung besteht; diese lässt sich schnell entfernen durch beliebiges Emporheben. Es giebt (auch) eine andre, deren Nachbarschaft in der Vereinigung (Verwachsung) besteht; diese bedarf der Ausschälung, wie du weisst.
Dreiundzwanzigstes Kapitel. Die Behandlungen.
Die beste Behandlung ist die Ablösung mit dem Eisen l, zumal des weichen. Aber die Ablösung des harten, wenn sie nicht leicht ist, führt zu einem (bleibenden) Schaden.
Man muss nun (bei der Ablösung das Flügelfell) mit einem Haken emporheben.2 Denn die Emporhebung erleichtert die Ausschneidung. Wenn diese Emporhebung nicht möglich ist, muss man (das Flügelfell) abschälen mittelst eines (Pferde-) Haars3 oder Seidenfadens, der mittelst einer Nadel darunter geführt ist; oder mittelst des Kiels einer feinen Feder: und dies braucht nur an einem oder zwei Punkten zu geschehen. Genügt das aber noch nicht, so wird die zarte Ausschälung nöthig, mittelst eines Messers ohne Spitze.4
Ausrotten muss man (von dem Flügelfell) so viel, als möglich, — nur nicht denjenigen Theil, welcher an das Thränenwärzchen grenzt, weil sonst Thränenträufeln danach zurückbleibt.5 Die Farbe unterscheidet zwischen diesen beiden Theilen.
Wenn man das Flügelfell abgeschnitten hat, träufelt man in das Auge zerkauten Kümmel mit Salz6; sein Beissen (jedoch)
1 Paul. (VI, c. 18) ziemlich ähnlich. Noch besser ist Aet. (c. 62), dem allerdings in chirurgischer Genauigkeit der Araber nicht gleichkommt. a Paul., a. a. 0.: ib nTSQvyiov üyxiaiQCü (ivuxeivofxev.
3 Paul., a. a. 0.: r/} de r^t/t wanei) dianQi'Covie-.
4 Paul., a. a. 0.: nieQvyoiö[j.cp to ohov unode^ovai meqvyLOv.
8 Paul., a. a. 0.: xuiah^inävovieg ib yvawbv xov xav&ov oatjxiov, «w* fit/ (jvug enay&evwg aviov yevijiai.
r> Paul., a. a. 0.: fieiu de li/v /etouvu^iap ollyovc ukng keluvg e'fißu- Xövieg eig ibi> ibnov ... Aet. , a. a. 0.: (isiu de irjv (iyalyeüLv ükfjijj dyifAv- leyu deov ej/v/jailteiv.
Dreiundzwanzigstes Kapitel. Die Behandlungen. 83
hindert man mit Eigelb, Rosen- und Veilchen-Oel. Wenn man nämlich diese Einträuflung unterlässt, so verwächst die Binde- haut mit dem Lid.7 Um dieses zu vermeiden, muss der Kranke auch noch allezeit das Auge bewegen. •
Dann, nach 3 Tagen, werden scharfe Collyrien angewendet, damit das Ueberbleibsel gründlich beseitigt werde.
Aber die Anwendung wirksamer Arznei-Mittel hat nur geringe Bedeutung bei einem dicken Flügelfell, zumal jene nicht frei sind von Schädigung der Pupille, wegen ihrer Schärfe. Denn nothwendig müssen sie eine kräftig abwischende Wirkung entfalten zugleich mit der zerstörenden.
Zu den erprobten gehört das Trachom-Mittel8, die Kaiser- Salbe und die scharfe Königs-Salbe, die Lidschminken: alle diese sind in dem Kapitel der Arzneimittel beschrieben.9
Zu den erprobten gehört auch das folgende. Man nehme ge- branntes Kupfer-Erz und weissen Vitriol und Bocksgalle zu gleichen Theilen und bereite daraus ein Collyr. 10 Oder man nehme weissen Vitriol, Steinsalz, je einen Theil, Gummi l/2; bereite ein Collyr daraus mittelst Weines.11 Oder gebranntes Erz, blauen Vitriol, und die Wurzelrinde vom Kapern-Strauch und Steinsalz und Bocksgalle oder Kuhgalle mit Honig. Oder Honig allein mit Ziegengalle.12 Oder Magnetstein, Kupferblüthe, Thonerde, Ammon'sches Salz, je zwei Theile, und Safran einen Theil; zu jeder Unze dieser Mischung füge man einen Becher13 Honig. Auch aus blauem Vitriol und Steinsalz kann man ein Pulver bereiten, dasselbe ist wundervoll.
Auch das folgende gehört zu den gegen Flügelfell erprobten
7 Aet. , a. a. 0. besser: jotg tu ßXscpaya ovvdiuxoneün noogyinreig y'iyvoviai.
s Paul., a. a. 0.: tu iQaxoüfiuTixu xul tu Xsvxcojjutixü.
9 Nach Trachom- Mittel steht noch qaltarin, nach Lidschminken noch dinarchun. Diese beiden (wohl verschriebenen) Worte sind nicht zu deuten und sind auch in der lat. Uebersetzung (coltomi, divaricum) unverständ- lich, qaltarin vertritt übrigens wahrscheinlich iu levxwimuxü des Paul. S. Anm. 8. — Nach Jacob, enthält es Kolkotar, das andre Grünspan.
10 Paul, ähnlich: /nlxog xsxavpevog // xülxavÖog äfft« jotoet« /oA//.
11 Paul, ähnlich: xuXxüv&ov fxeQog, xofistog fi. S, ul'vo) sxXeiovviec . . .
12 Paul., a. a. 0.: xolijv afybg {leim ^.i^avieg.
13 Ebenso Aet., a. a. 0.
6*
84 Augenheilkunde des Ibn Sina, zweiter Abschnitt.
Mitteln, — und zwar ist es fast ebenso wirksam wie die (ope- rative) Ablösung: Nimm die Scherbe eines Tiegels aus Sceni14 und schabe die Politur ab und zerreibe sie vielfach und ver- mische sie danach mit dem Oel von Kürbis-Samen und verreibe das miteinander; dann tauche man die Sonde in das Oher- häutchen (dieses Gemisches) und nehme damit Arznei auf und reibe mit letzterer das Flügelfell eifrig, an jedem Tage oftmals; denn das erweicht das Flügelfell, und das letztere geht dabei ab.
Vor Anwendung dieser Arzneien muss der Kranke über den Dampf von heissem Wasser sich beugen, so lange, bis das Auge sich erwärmt, und das Gesicht sich röthet. 15
Dies nützt bei einem dünnen Flügelfell. Bei dem dicken muss man Weihrauch zerreiben und in heisses Wasser giessen; man lässt eine Stunde verstreichen, seiht durch und bereitet daraus ein Collyr. 16
Vierundzwanzigstes Kapitel. Der Blutfleck (Hyposphagma).1
Dies ist ein Fleck von Blut, entweder von frischem rothem, oder von altem todtem, bläulichem oder schwarzem2, ausgeflossen aus einigen Blut-Adern, die im Auge geplatzt sind, z. B. in Folge einer Verletzung1, oder aus andrer Ursache, aus welcher Blut-Adern platzen, durch Ueberfüllung oder Anschwellung.8
14 Sceni est regio Syriae, Expos, voc. arab. Avicennae. (Jaqut: „Städtchen unterhalb Wäsit"). In unsrem arabischen Text ist, wohl nur missverständlich „aus China" gedruckt.
15 [Oder in ein Bad gehen. Und ich halte es für richtig, dass er sich bückt über den Dampf von gekochtem Wein oder etwas von gemischtem Wein trinke. Sodann wird damit das Flügelfell gerieben.] Einschiebsel.
16 [Ich habe erprobt bei Jemand, der ein dickes, rothes Flügelfell hatte, ein gründliches Einreiben von altem Weihrauch und habe das bis zum Uebermass heisse Wasser gegossen über seinen Kopf und habe ge- mischt im Mörser mit dem Stössel eine tüchtige Mischung, bis dass die Farbe derselben grünlich ward und ich habe es angewendet und fand es nützlich in höchstem Masse.] Offenbar ein Einschiebsel. Beide auch in der Rom. Ausg.
1 Paul., III, c. 22, § 6: 'Tnöacpay^ä bau oJ/iftc tuv cpleßwv tov tnt- 7iE(pvx6Tog, ix nlrjyrjg wc {lähaza <yLV0(i8vr].
2 Aet. , c. 22: votbqov de neXidvöv.
3 „bis es darin alt geworden", kann im Deutschen entbehrt werden.
Vierundzwanzigstes Kap. Blutfleck. Fünfundzwanzigstes Kap. Rehaudi. 85
Hierher gehört heftiges Schreien und übermässige Bewegung. Zuweilen erfolgt es auch durch Sieden des Bluts in den Venen. Bisweilen entsteht durch die auf Verletzung folgende Blutung ein feiner Erguss in der Pupille. (Aber) der Erguss in die Bindehaut ist gutartiger.
Fünfundzwanzigstes Kapitel. Die Behandlungen.
Eingeträufelt werde auf (den Blutfleck) das Blut einer Taube, entweder einer zahmen oder Turtel- oder wilden Taube1, und besonders das von unter dem Flügel (entnommene).
Im Anfang der Erkrankung mische man dem Blut etwas von den zurücktreibenden Mitteln bei, z. B. den Thon, welcher Kimolia genannt wird, und den, welcher der Armenische heisst. Am Ende der Erkrankung mischt man (das Blut) mit den auf- lösenden Mitteln, bis zum Arsen mit Siegel-Erde.
Bisweilen heilt man es mit der Frauenmilch nebst Weih- rauch und Salzwasser, besonders demjenigen, in welchem Stein- und Ammon'sches Salz gelöst sind2, und besonders, wenn dies zusammen mit dem Weihrauch in das Wasser gethan, und damit das Auge eingeträufelt wird. Auch das Collyr Dinarchon nützt sehr und auch das Mittel, das man herstellt aus Pfeffer- Stein und persischem Gummi zu gleichen Theilen und Arsen so viel, wie die andren Stoffe zusammen; zuweilen fügt man noch Steinsalz hinzu und bereitet aus allen diesen Dingen ein Collyr. Bisweilen macht man einen Umschlag von aussen mit Asche und Wein oder Essig. Und ebenso aus Taubenkoth mit Essig oder Wein. 3 Oder es wird ein Umschlag einfach aus
1 Paul., a. a. 0.: s/yxvfxaTLCeiv ovv aviovg «i/tait cpäaarjg r\ n6Qi(TT6Qiig. A@t., a. a. 0.: ey/v^aiiCnpin . . . atfia iQvyovog q nsQuJTSQäg. ,,Von unter dem Flügel" haben wir bei Griechen nicht gefunden, obwohl sie ähnliche Vorschriften haben. (Act., c. 22: aipaiog öveiov dnb xagöiag. Ders. c. 80: livelov ßoeiov tov Sfj,nooij&iov detjwv nodbg.) Vgl. I, c. 8, Anm. 3, S. 36.
2 Paul., a. a. O. : // &sq[ao) yäXaxu yvveixeüo ßqnyv dnOTQißcov Xißävov )) akflijP fcVcrr«>e xni fAÜXuna dnb Kannaöoxixuv dlwv.
3 Paul., a. a. 0.: (jqpExfaiqiov xex. xni. xönQog neqitrieQng i'crn, oI'vcü tj n^ti kein.
86 Augenheilkunde des Ibn Sina, zweiter Abschnitt.
entkernten Rosinen4 bereitet, allein oder mit Essig; oder mit den übrigen bereits genannten Mitteln, hauptsächlich wenn Ent- zündung besteht. Ebenso (dient) frischer Käse5, wenig gesalzen, und derselbe mit Rettich - Rinde ü, Steinklee mit Drachenblut, Lilienwurzel und Safran oder Linsen mit Rosen-Oel und Eigelb.
Der Kranke beuge sich über Wasser, in welchem ab- gekocht sind Isop7 mit Dosten, und bähe sich damit, allein, oder mit Essig, in dem Asche gekocht ist, oder mit einem Aufguss von Weihrauch nebst Aloe, oder mit dem Wasser des wilden Safran oder des gewöhnlichen, oder mit einer Abkochung von Kamillen und Steinklee, oder mit dem Saft derselben beiden, oder mit einer Abkochung von Kohlblättern. Man macht auch einen Umschlag von abgekochten und zerkleinerten Kohlblättern.
Bei sehr starker und eingewurzelter Krankheit bereitet man einen Umschlag aus zerstossenem Senf, vermischt mit der doppel- ten Menge von Feigen-Pulver, oder von Arsenik, in Milch ge- löst, oder von Granat-Aepfeln, in Wein gekocht, oder aus Amei und Ysop mit Kuhmilch.
Wenn mit dem Blutfleck gleichzeitig eine Zerreissung in der Bindehaut vorkommt, so kaut man Kümmel und Salz und träufelt den Speichel in's Auge. Auch Weiden-Blätter nützen sehr als Umschlag.
Sechsundzwanzigstes Kapitel.
Vom Thränen.1
Diese Krankheit besteht darin, dass die Augen immer nass sind von einer wässrigen Feuchtigkeit, und bisweilen sogar die
4 Paul., a. a. 0.: inacpiöi /w^t? tuv yiyäoTo>i>.
5 Paul., a. a. 0.: xaianläacreiv de tvqco veagro.
6 Paul., a. a. 0.: 7/ Qncpävov cpXoth.
7 Paul., a. a. 0.: xai nvQÜt xs/Qrjao dt* uq^eipfj^nxog vaocanov.
1 Die Ansichten der Griechen über das Thränen (dass die Karunkcl ein Ventil gegen das Ueberfliessen darstelle,) s. in § 173 und 240 d. Gesch. d. Augenh. im Alterth. Vgl. Galen, VI, 870 und besonders TU, 810 (v. d. Nutzen d. Th., X, c. 11): oi [ibv yäQ nveg [twv dq>&odfiixov uxtqcjv] in ie xaXoi'f.ievM niBQvyia. nai TOvg rvlovg xwv ßke(f)ä()(üi> bxirjytovieg (paqfAänoig
Sechsundzwanzigstes Kapitel. Vom Thränen. 87
Thränen herabrinnen. Von diesen Fällen sind einige angeboren, andre erworben. Von den letzteren sind einige ganz chronisch, im Zustand der Gesundheit des Körpers; andre folgen einer Allgemeinkrankheit und schwinden mit der letzteren, wie z. B. beim Fieber.
Ursache der erworbenen ist {einerseits) Schwäche der zurück- haltenden oder reifenden Kraft2; oder (andrerseits) Verkleinerung der Thränenwarze, sei diese nun spontan, oder eine Folge ört- licher Anwendung der scharfen Mittel oder (die Folge) einer Operation des Flügelfells.
Diejenigen (Fälle), welche angeboren sind oder durch radi- kale Ausschneidung der Thränenwarzen entstehen 3, sind unheilbar.
Der Thränenfluss 4, welcher bei Fieber und akuten Krank- heiten, ohne (besondere) Ursache, entsteht, beruht auf Schä- digung oder auf Entzündungen des Gehirns. Bisweilen entsteht der Thränenfluss in schlaflosen Fiebern, zu denen die Eintags- fieber gehören und noch mehr die blutigen Faulfieber; und bis- weilen steigert sich der Thränenfluss im Schüttelfrost. Und alle derartigen Fälle, welche schnell kommen, schwinden nach der Allgemeinkrankheit ; sowie die letztere aufhört, hört auch das Thränen auf.
ÖQifxeaiv eXn&op enviovg <jvvexjr)l*(tviec xnl tovto to xazn jov [leyav xav&bi> vevocödeg anqxiov 01 de Tiveg ev Talg xoyv syxav&idcov /eiqovqyiatg nnoze^vnvjeg nvzov nXeov rj nqogrjxev, exqetv enezqerpav zavzjj zoig neqizzcofiaai. xcti xnXovat }iiv 16 näxrog qotäda. Lykos (Galen, XVIIa, 966) hatte unter den Alten die vernünftigsten Ansichten über das Thränen und kannte die Verstopfung des Thränenkanals; doch scheint weder Galen noch Ibn Sina seine An- sichten angenommen zu haben. Paul., III, c. 22, § 23: r) de qvag, fieiaxrig [rnv (pvaixov xazit zbv fieyccv xav&bv aaqxiov].
1 Galen, XVIIb, 737: nqqojaziot, yäq zig efAcpaivezou zrjg xa&exzixr/g dvväfjtecog.
3 Paul., a. a. O. : Tag de qvädag, Hlnv [A8P exöttnavrj&evzog, r/ dnb %ei- qovqylng aze/^ov r/ öia (pno/näxcov, tov (mqxo)dovg, aviäxovg ia&l.
4 Kniion, 1. IV, f. 2, t. 1, c. 33. Hippokr., Sprüche, IV, 52: 'Oxnam rV inuTi nVQStotai xni hi> ijjtni> alltjinv aqqbHTiLfjin . . . dnxqvovatv ... (ji) xata nQoaiQ8aiv, (tionioieQov. Vgl. Galen, XVIIb, 731.
88 Augenheilkunde des Ibn Sina, zweiter Abschnitt.
Siebenundzwanzigstes Kapitel. Die Behandlungen.
Die Hauptvorschrift bei der Behandlung des Thränens ist die örtliche Anwendung der Mittel von massiger Zusammen- ziehungskraft. 1
Bei denjenigen Fällen , welche in Folge einer Operation des Flügelfells oder einer arzneilichen Verätzung des letzteren entstanden sind, besteht die Behandlung in dem gelben Pulver, dem Kügelchen aus Safran und dem Collyr aus Aloe und dem aus Safran mit Bilsenkraut.2 Streuen soll man über dasThränen- wärzchen das genannte mit Weihrauch und besonders mit dem Russ des letzteren und mit Aloe, Schöllkraut und Safran.
Wenn übrigens das Thränenwärzchen schon gänzlich zer- stört und beseitigt ist, so wird es niemals wieder wachsen.3
Dasjenige Thränen, welches nicht von Operation des Flügel- fells herrührt, behandelt man mit Zink-Galmei oder einem Pulver aus demselben und besonders mit dem im Kapitel <(23) von dem Weissfleck genannten, und mit allen zähen Collvrien, wie dem weissen und mit dem aus Sarcocoll (persischem Gummi) und dem styptischen und den übrigen in unsrer Arzneimittel-Lehre genannten.
Zu den erprobten gehört das Mittel aus dem Wasser von sauren Granat-Aepfeln mit den Arzneien. Seine Bereitung ge- schieht folgendermaassen. Ein Pfund dieses Wassers wird ein- gekocht auf die Hälfte; dann fügt man hinzu Aloe aus Sokotra Kreuzdorn -Harz (Lycium), indisches Kreuz dorn -Harz, Safran, Schöllkraut-Salbe, je eine Drachme, Moschus einen Scrupel; dies lässt man in der Sonne 40 Tage stehen, in einem ge- schlossenen Glasgefäss.
Zu den erprobten Mitteln gehört es, nüchtern in's Bad zu gehen und darin zu verweilen und oft Essig und Wasser in's Auge zu träufeln.
Das angeborene Thränen nimmt nur schwer eine Behand- lung an.
1 Paul., a. a. 0.: toic [ieigicüg (Ttvcpovin.
2 Paul., a. a. 0.: ofo in du* xqöxov xal ykavxiov xal akörjg xal ta
dtäxQoxa iCov xollovQibiv xal voaxva^iog.
3 S. Anm. 3 des Kap. 26.
Siebenuildzwänzigstes Kap. Behandl. Achtundzwanzigstes Kap. Schielen. 80
Achtundzwanzigstes Kapitel. Vom Schielen.1
Zuweilen entsteht das Schielen durch Erschlaffung (Läh- mung) eines derjenigen Muskeln, welche die Bewegung des Augapfels besorgen, und das Auge weicht ab von der Richtung jener Seite (d. h. des betroffenen Muskels) nach der entgegen- gesetzten.2 Bisweilen entsteht es durch Krampf eines der Muskeln, und das Auge weicht ab nach der Seite desselben. 3
Und, wie es auch sei, bisweilen entsteht es aus Feuchtigkeit; bisweilen aus Trockenheit, wie z. B. in hitzigen Krankheiten.
Das Schielen, welches durch Krampf eines Muskels ver- ursacht wird, entsteht nur durch Krampf der bewegenden Muskeln; ihr Krampf ist es, welcher am Auge das Schielen hervortreten lässt. Aber der Krampf desjenigen Muskels, in der Wurzel der Augenhöhle4, welcher das Auge zurückhält, lässt keinen Schaden hervortreten, sondern ist sehr nützlich.
Häufig entsteht Schielen aus gewissen Hirn-Krankheiten, wie Fallsucht, Hirnhaut- Entzündung, Schwindel u. dergl., wegen der Hitze, Trockenheit oder Ueberfüllung.
Wisse, dass Ablenkung des Auges nach oben oder unten die (Ursache) ist, welche bewirkt, dass es ein Ding als zwei sieht5; aber die Abweichung nach einer der beiden Seiten bringt dem Auge keine Schädigung, welche eine Behandlung erheischt.
1 Paul. (III, c. 22, § 40) ist im Kapitel des Schielens recht dürftig, Ibn Sina scheint hier mehr auf Galen zurückgegriffen zu haben.
2 Galen, v. d. Urs. d. Krankh., c. 7, B. VII, S. 30: ev fxsp zolg xaxa 'h'iiEfjn TiaQaleXvfievoLQ vnö icor kveqyovviiov fivcov ekxöjxevov ovico de xav lolg tTEQQÖnoig anacrfioig vnb luv iincofxevcov.
3 Galen, v. d. Urs. d. Sympt, II, c. 2 (B. VII, S. 150): oi re xalov- fievoi criQaßi(T[ioi xoiv xaia iovg öcp&aXfiovg ([ivajv anaafxoiy. — In der un- echten Schrift v. d. ärztl. Definitionen (B. XIX, S. 436) wird das Schielen als Lähmung einiger der Augenmuskeln erklärt.
4 Ueber diesen, den Retractor, der dem Menschen fehlt, aber bei Pflanzenfressern u. a. vorkommt, s. Gesch. d. Augenheilk. im Alterth., S. 199.
5 Ueber diese Galenische Lehre vom Doppeltsehen vgl. Gesch. d. Augenheilk. im Alterth., S. 139. Galen, v. d. örtl. Leiden, IV, 2 (B. VIII, S. 220): xai xatn diaaiQoyag de i(bv öqi&aX/jüJv q [iev eqp' bnoieqovovv xav&bv exjQonfj qvXäiiEL ii]v xaia cpvatv evegyelav r//^ öftrem??' y <5' aVw xai xäicj xa&äneQ ye xai ac Xogal, dmlä cpatitea&ai noiovin nävia xa bqäfieva. Vgl. Galen, v. Nutzen d. Th.? X, c. 12, B. III, S. 826 und ferner B. VII, S. 87.
DO Augenheilkunde des Ibn Sina, zweiter Abschnitt.
Neunundzwanzigstes Kapitel. Von den Behandlungen.1
Dasjenige Schielen, welches von Geburt herrührt, wird nicht geheilt, leider Gottes, ausser in dem Zustand der sehr feuchten Kindheit.
Bisweilen besteht Hoffnung auf Heilung, besonders dann, wenn das Leiden noch frisch ist. Hierzu ist es nöthig, dass die Wiege gerade gerichtet, und eine Kerze aufgestellt werde auf der zur Schielstellung entgegengesetzten Seite, so dass immer der Blick nach dieser Richtung arbeitet. Und ebenso muss man mit rothem Faden einen Gegenstand umwickeln, der entgegen- gesetzt steht zur Richtung des Schielens ; oder einen rothen Gegen- stand an der entgegengerichteten2 Schläfe oder Ohr(-Gegend): und alles dies soll so geschehen, dass der Blick des Kindes nach jenem hin sich wende und denselben mit einiger Mühe erblicke. Denn bisweilen nützt diese Bemühung, um das Auge gerade zu stellen; und das Schauen3 dahin zu senden, wo es den Blick gerade macht.
Diejenigen aber, denen das Schielen zustösst, wenn sie er- wachsen sind oder Greise, und bei welchen Erschlaffung die Ursache abgiebt, oder Krampf durch Feuchtigkeit (Rheuma- tismus), müssen die Reinigung des Gehirns gebrauchen, mittelst der entleerenden Mittel, die wir genannt haben, mit den grossen ehrwürdigen Abführmitteln (Hiera) u. dergl., mit verringerter Diät und der Anwendung des lösenden Bades.
1 Die Behandlung des Schielens lautet in dem griechischen Kanon der Augenheilk. (Oreibas., V, 455, Paul., III, c. 22): AI ex yevsifjg aiQaßö- n/n-g kov vqnloiv &8Qanevovi(u ngoaconeiov neQi&eaet, önoog eig to ev&v ßke- 7ico<n, anaafjüidrjg y<xQ eaup tuv xlvovviuv ibv ßolßbv fivcov diä&saig 6 <jiqu- ßitjfiög, xnl tov Xv/vov de avnxqvg Ti&efiBVOV xai firj ex nlotyiov nagcHpaipov- rog. xoti öiav en ngbg xt]v blva (rvvvevaioai tovq oqy&aXfiovg, XQOxlöag qnru- vixtvng nctQnxolluv xnl TOig nqbg lovg xQOiäyovg xav&oig, oniog nqbg raviag azevl'QovTeg öioQxtäJvL rovg 6<p&aXfM,ovg. Vgl. Ioann. Akt., II, 448. Gesch. d. Augenheilk. im Alterth., 8. 393. Ibn Sina hat die Behandlung des später erworbenen Schielens hinzugefügt.
2 d. h. wenn das rechte Auge nach der Nasenseite hin schielt, an die rechte Schläfe.
9 Im arab. Text steht „Blut". Bei lunensis verbesserte intuitionem. Gentil. denkt an Aderlass, Jacob, an Nasenbluten.
Neunundzvvanzigstes Kap. Behandl. Dreissigstes Kap. Glotzäugigkeit. 91
Zu den Mitteln, welche bei diesem (Schielen) hilfreich sind, gehört die Kopfreinigung mit dem Saft der Oelbaum-Blätter.
Wenn aber das Schielen von einem Krampf in Folge von Trockenheit herrührt, so muss man feuchte Umschläge an- wenden. Wenn kein Fieber dabei ist, nehme der (Kranke) zum Getränk Eselsmilch mit stark feuchtenden Oelen, und die ganze Diät muss feucht sein. In's Auge werde das Blut der Turteltaube geträufelt, und ein Umschlag gemacht aus Eiweiss und Rosen-Oel und einem wenig Wein, und darüber gebunden; und das geschehe an etlichen Tagen.
Dreissigstes Kapitel. Von der Glotzäugigkeit.1
Bisweilen entsteht Glotzäugigkeit, entweder weil das Auge (selber) stark anschwillt wegen seiner Schwere und Anfüllung; oder weil es sich stark vordrängt nach aussen; oder wegen starker Erschlaffung seiner Aufhängung und derjenigen Mus- keln, welche diese besorgen.
Die (erstgenannte Art), welche entsteht aus heftiger Anschwellung des Augapfels, wegen seiner Schwere und An- füllung, hängt ab von Materie im Auge selbst, sei dieselbe luft- artig oder flüssig und feucht; und zuweilen ist die Anfüllung dem Auge eigenthümlich, zuweilen betheiligt sich daran das Gehirn und der ganze Körper, wie das geschieht bei der Zurückhaltung des Monatsflusses.
1 Der griechische Kanon über diese Krankheit lautet bei Orcibas. (Synops. VIII, 52, B. V, S. 456) und bei Paul., III, c. 27, § 37, S. 77: \ExnieZoviai oi öcpftaX/uol bvLotb cogis dtafjeveip et-e/oviag. Tovg fiev ovv vn ri)'/ör//c exnistf&ei'iac an äpw^oc qpXeßoTOfieiv el de äXXiog yevoiio, opaofia- xeveiv eXXeßöoci) fieXavi rj (jxafjficovla. Tag de ex tüjv lodlvoiv e'x&Xlipeig tmv oqp&alfiüjv, noXXäxig fiev xal ac zoig inxeioig anLyivdfiSvou xa&aQoeig Xvovaiv, ö&ev öei (ivP8Qiysip Taviaig, 'Eni de tuv avdobiv fAeza jrjv qiXeßoiOfiiai', et fltj xaiaviali], csixvav xro lvUo nqogßäXXeiv, sniTi&evai de eqiov {teXiu xe/numepov )/ xqnxlda fte&' vdarog, avioftev re nrvy^a emdeiv ^vyj\. 2/Vjl(pSQ8l de wv- rotc xal &äXao-(ra ifiv/qa nQOgavrXovfiSvrj reo tcqoitcotio) xal (reqecog /vXb^ xai noXvyovov uera {urjXQ)velov enixqiöy,evog xai xaXXa 6Va dvvaiai (jieXXeii> xal vvväyeiv. Ganz ähnlich bei Aet., c. 47. — Ibn Sina ist aber in der Krankheitslchro genauer, da er drei Arten unterscheidet.
92 Augenheilkunde des Ihm Sina, zweiter Abschnitt.
Diejenige {zweite) Art, welche durch Hervordrängen des Auges nach aussen entsteht, tritt ein beim Erhängen und bei heftigem Kopfschmerz und nach dem Erbrechen und starkem Schreien, und an den Frauen noch bei heftigen Wehen, und bei Stuhlzwang.2
Und zuweilen entsteht sie dabei aus Materie, die nach dem Auge sich hinzieht, besonders auch, wenn die Frau nach der Entbindung sich nicht gereinigt hat; und zuweilen entsteht sie aus Verderbniss der Beschaffenheit des Fötus oder aus Absterben oder Fäulniss desselben.
Sie entsteht aber auch (drittens) aus Erschlaffung eines Muskels, — da derjenige Muskel, welcher den hohlen (Seh-)Nerv umfängt, wenn er erschlafft, nicht mehr das Auge festhält, sondern nach aussen hin abweichen lässt.3 Wenn das Her- vortreten des Auges nur aus Erschlaffung (dieses) Muskels entsteht, wird das Sehvermögen nicht zerstört. Wenn es aber verbunden ist mit seiner Zerreissung, so wird auch das Seh- vermögen zerstört.4
Zuweilen treten beide Augen hervor, in solchen Fällen, wie Erhängen, Entzündungen der Hirnhäute, Lungen-Entzündung. Die Ursache ist dabei Pressung, bisweilen auchUeberfüllung; und oft geschieht es mit Blut-Unterlaufung,5 die deutlich hervor- tritt und auch eine Entzündung der Hornhaut verursacht.
Einunddreissigstes Kapitel.
Von den Zeichen.1
Wenn das Heraustreten des Augapfels Folge ist von viel Materie, die sich im Auge anhäuft, dann besteht gleichzeitig Vergrösserung desselben.
2 Vgl. Anm. 1.
3 Galen, v. d. örtl. Leiden, IV, c. 2 (B. VIII, S. 220): stöhnt Xqtj zijv nitqäXvmv <(r(bi> negts/övicot' ro (icdaxbv vevqov uvon>y olov tbv 6<p&al[i6i> EQfaQoyLevriv TiQoneifj. Ueber den Musculus retractor bulbi vgl. Anm. 4 zu Kap. 28.
4 Aehnlich Galen, a. a. 0.
8 Arab. „Koth", was sinnlos ist.
1 Dies Kapitel enthält richtige Kranken-Beobachtungen sowie Unter- scheidungen, die bei den Griechen nicht zu finden sind,
Einunddreissigstes Kap. Zeichen. Zweiunddreissigstes Kap. Behandl. 93
Wenn es die Folge ist von Pressung, so besteht zuweilen Vergrösserung, wenn nämlich Materie dabei mithilft; bisweilen ist aber keine Vergrösserung dabei vorhanden. In beiden Fällen fühlt man die Ausdehnung, die von hinten hervor- treibt, und erkennt ihre Ursache. Aber bei der Form, welche wegen Erschlaffung des Muskels entsteht, wird das Auge nicht vergrössert, noch fühlt man eine starke Spannung von innen her, und das Auge ist dabei beweglich.
Zweiunddreissigstes Kapitel. Von den Behandlungen.
Bei leichtem Hervortreten des Augapfels genügt ein Ver- band1, der ihn nach innen zurücktreibt, Schlaf in der Kücken- lage, trockne Speise, wenig Bewegung, beharrlicher Lidschluss. Wird Beihilfe der Arzneien nöthig, so wende man das Collyr aus Sumach an. Aber bei den starken Formen, wenn Materie dabei im Spiele ist, wird Reinigung von derselben, sowohl des Körpers wie auch des Kopfes, durch die bekannte Behandlung mittelst der abführenden Mittel und des Aderlasses und der Schröpfköpfe1 an den beiden Hinterhauptshöckern, und scharfer Klystiere erforderlich.
Im Ganzen gehört das i^bführen zu den nützlichsten Dingen für alle Arten dieser Krankheit, und ebenso das An- setzen von Schröpfköpfen an den Nacken. Nothwendiger Weise ist im Anfang-Stadium der Umschlag mit Wolle, die in Essig getränkt ist, fortzusetzen; das Gesicht bekomme eine Ueber- giessung mit kaltem Salzwasser1, besonders solchem, in dem zusammenziehende 1 Mittel gekocht worden, wie Granatapfel-Rinde und Hagebutten und Mohn und Cichorie 1 und Hirtentäschchen.
Wenn die Krankheit nicht von Ueberfüllung abhängt, so hilft diese Behandlung zu jeder Zeit. Wenn die Krankheit von Ueberfüllung abhängt, so muss die Materie von vornherein auf- gelöst werden.
1 S. Anm. 1 zu Kap. 30.
94 Augenheilkunde des Ibn Sina, zweiter Abschnitt.
Wenn die Krankheit von Erschlaffung abhängt, niuss man die großen ehrwürdigen {Bitter- Mittel) anwenden und Gurgel- mittel und Riechstoffe und die bekannten Räucherungen; und danach zusammenziehende und verstopfende Mittel.
Aber die Glotzäugigkeit, welche bei der Entbindung sich einstellt, — wenn sie herrührt von zu geringem Blutfiuss der Gebärenden, oder von Verderbniss des Fötus; so rufe die monat- liche Absonderung hervor2 und ziehe den Fötus aus.
Und, wenn sie nur von Pressung herrührt, dann (passen) zusammenziehende Mittel.
Zu den Mitteln, welche nützlich sind beim Heraustreten und Hervorragen des Augapfels, gehört ein Umschlag aus Bohnen- Mehl mit Rosen und Weihrauch und Eiweiss. Auch geröstete Dattelkerne mit Narde sind gut gegen Hervorragung und Heraus- treten.
Dreiunddreissigstes Kapitel.
Ueber das Einsinken und die Verkleinerung des Augapfels. 1
Dies kommt vor bei Fiebern, besonders bei den schlaflosen, und nach starken Ausleerungen und Schlaflosigkeit und Kummer und Sorgen. Bei derjenigen Art, welche von Schlaflosigkeit ab- hängt, ist das Auge schläfrig, schwer beweglich in den Lidern, aber nicht im Augapfel selber. Im Kummer ist der Augapfel ruhig.
Man hat behauptet, dass einige Menschen eine Verschieden- heit beider Gesichtshälften zeigen, bezüglich starker Kälte und starker Hitze. Dann zeige das Auge, welches in der kalten Hälfte sich findet, Einsinken und Verkleinerung.2 Und merke dir dies Alles.
2 S. Anm. 1 zu Kap. 30.
K. 31. * Die Venet. Ausg. erinnert hier an des Celsus (VI, 6) oculi imminuti und des Paul. (p&Laig aal otTQoqiia, — mit Unrecht. Ibn Sina bespricht hier, nach der Glotzäugigkeit, das Einsinken des Auges bei Er- schöpfungs-Zuständen (Enophthalmus) u. dgl.
2 Halbseitige Gesichts- Atrophie.
Dreiunddreissigstes Kap. Einsinken etc. Vierunddreissigstes Kap. Bläue
Vierunddreissigstes Kapitel.
Von der Bläue <des Auges).1
Die blaue Farbe des Auges entsteht entweder aus einer Ursache, die in den Häuten desselben sitzt, oder aus einer Ursache, die in den Feuchtigkeiten desselben liegt. Die in den Feuchtigkeiten beruhende Ursache ist die folgende2:
1 De glaucomate intelligit, heisst es in der Venetianisehen Ausgabe. Das ist nicht ganz richtig. Ibn Sina redet in diesem Kapitel, dessen Uebersetzung — wegen seines theoretischen Inhalts — besonders schwierig gewesen, hauptsächlich von dem Blau- Auge, das ja im Morgenland, gegenüber dem braunen, die Ausnahme darstellt; und gelegentlich auch von krankhafter Bläuung des Auges, was wohl hauptsächlich auf den ur- sprünglichen Begriff von yXuvxcjaig = Star zu beziehen ist. Was Ibn Sina über die Ursachen der Farben-Unterschiede menschlicher Augen vorbringt, beruht einerseits auf Aristoteles (von der Zeugung der Thiere, V, c. 1, wonach der Araber auch I, c. 19 seines eignen Werks von der Natur der Thiere gearbeitet hat); und andrerseits, was in unsren latein. Uebersetz. fehlt, doch von Jacob, erwähnt wird, auf Galen (v. d. ärztl. Kunst, c. 9, B. I, S. 329), bezw. auf Oreib. (B. III, S. 199), der fast wört- lich mit dem vorigen übereinstimmt. Doch hat Ibn Sina die griechische Lehre nach seiner formalen Logik noch weiter ausgearbeitet; er fordert für die Bläue des Auges nicht blos, wie Aristoteles und Galenos, solche Ursachen, die in den Feuchtigkeiten liegen, sondern auch solche, die in den Häuten desselben beruhen, um zu erklären, dass es auch scharfsehende Blau-Augen giebt. Doch ist ihm darin der byzantinische Galeniker Theophilos, im 7. Jahrb., — vielleicht durch ein Missver- ständniss — schon voraufgegangen. (Von der Einrichtung d. menschlichen Körpers, IV, c. 21, S. 164: Tyoöxrjxog ovv darpiXovg ev xio nuyoeiöei yinovi ntoiexofiavrj^j fieXaveg eiatv ot 6(p&al[ioi' lövrieo el oXiyrj e'crxiv i) vyyön,-. yXavxoi. Vgl. noch Anm. 1 des folg. Kapitels.) Uebrigens sei noch be- merkt, dass Aristoteles die Krystall-Linse nicht erwähnt.
2 Galen, a. a. 0. [das Eingeklammerte fehlt bei Oreibasios,]: \yXuvxoi pev 6<p&uX(Äol Xüfinovxsg vyqöxrjxi xa&uou xe yail ov noXlfj qxüjog XufMnQOv yivovxai neoiovolu, (AeXaveg d' e'fJ-TiaXcV oC (T av (jexu^v y.axu zag uvu tieaov aixiag.] yXavxbg fj.ev ovv 6<p&aXfibg rjxot diu fieye&og // lixixnuöiijiu xov xovaxaXXoeidovg ?/ nqonexrj &eacv, >/ diu xrjv xov lenxov xai vdaiojÖovg vyqov xov xuxu xijv y.öqr/v oXuföxr\xä xe uai xu&aqöxTjxa yivexctc tiüvtüjv uh üfiu o~vve).&övxb)v, ö yXavxöxaxog' el de xa fxev avxajv naueirj, xä de urj, ib uüübv re xai i]xxov ev yXavxözrjxi awlaxuxui. Vgl. Gesch. d. Augenheilk. im Alterth., S. 363. In seinem Hohenlied auf den Demiurgos, ich meine die Schrift von dem Nutzen der Theile, hat übrigens Galenos die ver- schiedene Färbung der Regenbogenhaut nur kurz berührt, um die Weis-
96 Augenheilkunde des Ibn Sina, zweiter Abschnitt.
Wenn der Kry stall sehr gross ist, und seine Lage mehr nach vorn3; dabei die Eiweiss-Feuchtigkeit klar, und ihre Menge normal oder selbst geringer: dann wird das Auge blau sein aus dieser Ursache, — falls nicht eine Hinderung von Seiten der Haut vorliegt.
Wenn aber die (Augen-)Feuchtigkeiten trüb sind, dabei der Krystall klein, das Eiweiss ausgedehnt ist, dann tritt eine dunkle Farbe4 des Auges hervor, wie die des tiefen Wassers5; und <auch>, wenn der Krystall in der Tiefe liegt, wird das Auge schwarz.
Die Ursache, die in den Häuten liegt, beruht auf der Beerenhaut.6 Wenn diese dunkel ist, wird das Auge aus diesem Grunde schwarz; und, wenn sie blau ist, wird das Auge blau.
Die Beerenhaut wird einerseits blau aus Mangel an Reifung7, wie eine Pflanze, — denn im Beginn, wenn sie ent- steht, hat die letztere keine merkbare Färbung, vielmehr neigt
heit der schwarzen zu preisen: (ielav de iv' ä&qoiCj] ze zi/v avyrjv xal nqbg zrjv xöqrjv naqanefinj].
3 „seine Lage mehr nach vorn" steht im arabischen Text wie in der latein. Uebersetzung nicht hinter „Krystall", wohin es gehört, sondern hinter „Eiweiss-Feuchtigkeit". Dass wir richtig umgestellt, folgt nicht blos aus dem griechischen Text, sondern auch aus der Fortsetzung des arabischen.
4 Galen, a. a. 0., fährt fort: fiekag d' öcpd-akfibg \) dut zr/v a^iixqözijza zov xqvazaXXoeidovg r) dia zrjv ev ßä&ei öeoiv, '// bzi Xafjtnqöv ze xal avyoeideg axqißug ovx eaiiv, tj bzi zb Xenzbv vyqbv r'/zoi nleov r) ov xa&aqöv eaztv, /} diä zcvn zovzcov r) dia nävza neqpvxe ylvea&ai' zb fiallov de xal r/zzov ev avzoig, wc e'fxnqocr&ev eXqrjzai.
5 Aristot, von der Zeugung der Thiere, V, c. 1 (A. d. Berl. Ak. 1, 779b, Z. 26): oi fiev yaq e/ovai zgjv ö<p&al[icüv nleov vyqbv, ot d' elazzov zrjg avfifiezQOv xivr/aeag, oi de avfifiezqov. i« fiev ovv e'/ovza zcjv bfifiä- zo)v nolv zb vyqbv fielavöfifiazü eazt dia zb fit) evdlonz' etvat za nollä, ylavxa de za öllyov, xa&äneq cpaivezai xal enl zf/g &aläzzijg' zb fiev yaq evdlonzov avzrjg ylavxbv q>alvezat, zb (T ijzzov vdazcodeg, zb de firj dicoqio'fievov dtu ßä&og fielav xal xvavoeideg. za de fieza$v zwv ofifiäzcjv zovzcjv zw fiallov rjdrj dcacpeqei xal fjzzov.
6 Dieser Zusatz des Arabers zu dem Dogma der Griechen enthält den Keim des Richtigen.
7 Aristot, a. a. 0., S. 780b, Z. 7: rj ze yaq noliozrjg aa&eveiä zig eazi zov vyqov zov ev zw eyxecpälto xal aneipla xal r) ylavxozrjg.
Vierunddreissigstes Kapitel. Von der Bläue des Auges. 97
sie zum Weissen hin; später mit der Reifung wird sie grün; — und aus dieser Ursache sind die Augen der Neugeborenen8 blau und grau, und diese Art von Bläuung erfolgt aus ausgiebiger Feuchtigkeit; oder andrerseits aus Auflösung derjenigen Feuchtigkeit, von welcher die Färbung herrührte im Zustande der völligen Reifung, — geradeso wie die Pflanze, wenn ihre Feuchtigkeit schwindet, anfängt weiss zu werden; und diese (letztere) Bläuung hängt ab von vorherrschender Trockenheit. Die Augen von Kranken und von Greisen werden grau aus dieser Ursache. Denn bei Greisen verm ehrt sich (zwar) die fremde (äussere) Feuchtigkeit, es schwindet (aber) die angeborene (innere).
Oder (drittens) tritt diese Farbe bei der Geburt auf, — nicht deshalb, weil die Beerenhaut sich ihr zugesellt, während dies vor- her nicht der Fall gewesen; sondern sie erfolgt wegen der Klar- heit der Feuchtigkeit, aus welcher (jene Haut) geschaffen ist. Es entsteht aus einer der beiden (genannten) Ursachen, wenn (die Bläue) ihr bei der Geburt zu eigen wird: dies wird diagnosticirt aus der Güte der Sehkraft und aus ihrer Mangelhaftigkeit.9
Es giebt (also) eine natürliche (angeborene) Bläuung, und eine zufällige (erworbene).
Die graue Beschaffenheit aber entsteht aus einer Zusammen- häufung der Ursachen der Schwärze und der Bläue; und daraus setzt sich zusammen (die Zwischenstufe) zwischen (der) Schwärze und (der) Bläue, die eben grau ist. Wenn wirklich das graue auf dem Feuer beruhte, wie Empedokles10 annimmt; so wäre das blaue Auge geschädigt durch seinen Mangel an Feurigkeit, welche doch das Werkzeug des Sehens darstellen soll.
3 Aristot, a. a. 0., S. 780b, Z. 1: t« de naidla diJ oXiyÖTrjxa xov vyqov yXavxn cpalvejai to tiqcütov. Also ein wenig anders. Und S. 779a, Z. 29 : ykavxÖTSQa de zu o\i\iaxa tcov naiölcov ev&vg yevvcofievcov eari tkxvtcov, vaiSQOv de fieiaßüXXet nyog t>/v vnixQ/etv fieXXovaav cpvatv avioig.
9 G-entil.: Avic. videtur sibi contradicere. Aber Ibn Sina macht nur zu viele Worte. Der Sinn derselben ist: Die Bläue der Neugeborenen ist vergleichbar der Farblosigkeit einer unreifen Pflanze, die der Greise der einer überreifen. Die angeborene Blmie aus Klarheit des Bildungs- stoffs ist mit guter Sehkraft verbunden.
J0 Ambadoqlis. Vgl. Ar ist., a. a. 0., S. 779 b, Z. 15: Tb fiev ovv
vnoXctfißäveiv toc fiev yXavxä tivqujÖt], xa&äneQ 'JL/Ansdoxlrjc: (pyjai, r« de /neXrxvn
nkeiov vöniog e^etv rj nvgög . . . ov leyeictt aaAoic, etneo fii/ nvqbg ttjv oipiv &eteov
dXV vöaxog nuoiv. Also wieder nicht ganz so, wie Ibn Sina es darstellt.
Ibn Sina. 7
98 Augenheilkunde des Ibn Sina, zweiter Abschnitt.
Einige Schwarz-Augen werden aber übertroffen von den Blau- Augen in der Sehschärfe, wenn die Bläue den letzteren nicht in Folge einer Schädigung anhaftet. Die Ursache liegt im folgenden. Die Schwärze, welche abhängt von der Menge der Eiweissfeuchtigkeit, hindert das Eindringen der Farben- Grestalten11, weil sie im Gegensatz steht zur Durchgängigkeit, — ebenso wie jene {Schwärze), die aus Trübung der Feuchtigkeit hervorgeht, gradeso diejenige, deren Ursache in der Menge der Feuchtigkeit liegt.12
Denn auch, wenn viel Feuchtigkeit vorliegt, gehorcht sie nicht der Bewegung des Schauens und dem Heraustreten nach vorn, in genügender Weise. 13
Wenn das Auge blau ist wegen Kleinheit der Eiweiss- Feuchtigkeit, so sieht es besser in der Nacht und in der Dunkel- heit, als am Tage, wegen des (starken Atfects), den eine kleine Masse durch die Bewegung des Lichts erleidet14; die letztere hindert es an der Klarheit. Eine solch' (starke) Bewegung ist nicht im Stande, die Dinge klar unterscheiden (zu lassen), — ebenso wenig, wie (andrerseits das Auge) im Stande ist, zu sehen, was in der Finsterniss ist, nach dem Licht.
Aber das in Folge (vieler) Feuchtigkeit schwarze Auge hat in der Nacht schlechteres Sehen, deshalb weil es des Schauens und der Bewegung der Materie nach aussen bedarf. Ein Ueber- schuss an Materie ist widersetzlicher oder weniger gehorsam, als eine geringe Menge.
11 [durch das Weisse] ist nicht ganz klar, vielleicht „das durch das Weisse bedingt ist". (Lat. cum declaratione, Bellun. manifestatione.)
12 Der Araber sagt nicht, wie wir, a = b; sondern a = b = a, um die vollständige Gleichheit oder Identität auszudrücken. Davon haben wir mehrere Beispiele in unsrem Text.
13 Vgl. den Anfang der Anm. 5.
14 Aristot. , a. a. 0., S. 779b, Z. 35: tu per ylavxa fxrj etvui ögvconn jrjg rj^ieoug, x« de ^itluvö^uiu Tr\g vvxxög. tu fj,ev yuo yXuvxu dt' öliyöirjw tov vyqov xiveiTui fiullov vnb tov qjtoibg xai t&v bquidv^ h vyobv xul i) diu- cpaveg. ean d' r\ tovtov tov fiooiov xivijaig boacrig, ]] diuqjaveg , dXV ov/ ?/ vyqöv. tu de fiekavö^fiaxa diu nXrj&og tov vyqov ijttov xiveiTui. üo&eveg yuq xö vvxTeqivbv qpcog. üfiu yuq dvcrxivrjTOP ei> xfj vvxxi y'iveiui ib vyqöv. dei de ovTe fir] xiveva&ai aviö, ovxe (xäXXov /) ij dvacpuveg. Durch diese Stelle werden die Worte des Ibn Sina einigermaassen klar.
Fünfimddreissigstes Kapitel. Behandlung. 99
Das Auge (aber), das von Seiten der Haut schwarz ist, sammelt kräftig die Sehkraft.
Fünfunddreissigstes Kapitel. Behandlung. l
Erprobt ist ein Collyr aus trocknem Bilsenkraut; man kocht (das letztere) in Wasser bis zur Honig-Dicke und bereitet daraus ein Collyr. Oder man nimmt Antimon aus Ispahan 3 Drachmen, Perlen 1 Drachme, Moschus, Campher je 1 Scrupel, Lampenruss von Oliven- oder Jasmin-Oel 2 Drachmen, Safran 1 Drachme; vereinigt alles durch Reiben und wendet es an. Auch Safran selbst oder sein Oel gehört zu dem, was die Pupille schwärzt; ebenso Fuchstraubensaft. Oder man nimmt vom Saft des Burzeldorns 2 Drachmen, zerkleinerte Galläpfel 1 Drachme, Oel aus Kernen von Oliven, die auf dem Baume schwarz ge- worden, und Oel von nicht entschaltem Sesam je 1 Drachme; man kocht dies auf gelindem Feuer und macht daraus ein Collyr.
Zu den erprobten Mitteln gehört das folgende: man röstet Haselnüsse und mischt sie mit Oel und salbt (damit) die Scheitelnaht des blauäugigen Kindes. Auch kann man die Sonde in feuchte Coloquinten tauchen und damit einreiben, indem es heisst, dies schwärze die Pupille der Katze gar sehr.
Ebenso die zerstossene Rinde der Wallnuss. Oder man nehme einen Theil Akazien(-Frucht), Galläpfel 1/6, vereinigt sie mit der Abkochung von Blüthen der Anemone und dem Saft derselben und bereitet daraus Augentropfen.2 Aehnlich wirkt der Saft des Bilsenkrauts und der Granatapfel-Rinde.3
1 Mittel gegen die blaue Farbe des Auges, hauptsächlich solche, welche die Pupille erweitern, wie Bilsenkraut, haben bereits die Griechen überliefert. Vgl. Galen, B. XII, S. 740; Aetios, c. 43: Hqo; ylavx- oqpfrälfAOvg cocfts {lelctlvag k%ELv Tag xöqag. . . . tvaia'Qs voaxväjÄOv xb xva- vovv äv&og. Theoph. Nonn. (r, S. 230) hat ein halbes Kapitelchen Uqbg ylavxcoaiv. 2xovyvov /vlbg eyxv(j,axi£6[Aevog (ishavag öqp&akuovg nocet.
2 Galen u. Aet. , a. a. 0.: 'Axaxiag xbv xaonbv xal xrjxiöiov öUyov loiipag tnifieXüJg di^ukä/jßa^e (xv6[iüi>i]g T(o %v\(ü . . . to vyqbv cmö&ov.
3 [Und ebenso eine Amme, welche aus Sensch oder Abessynien stammt: wenn sie das Kind säugt, hört die Blau-Aeugigkeit auf.] Dies ist vielleicht ein abergläubischer Zusatz eines ägyptischen Abschreibers, steht aber auch in der römischen Ausgabe.
Tractat III.
Von den Erkrankungen des Lids und ihren Begleit- Erscheinungen.
Erstes Kapitel. Von den Läusen1 in den Lidern.
Der Bildung-Stoff der Läuse ist faulige Feuchtigkeit, welche die Natur nach einem Theil der Haut hin ausgetrieben hat. Die vorbereitende Kraft ihrer Erzeugung ist eine unnatürliche Wärme. Derjenige wird hauptsächlich befallen, welcher Schwel- gerei liebt und dabei wenig Bewegung, unsauber ist und niemals badet.2
Zweites Kapitel. Behandlung. 1 Beginne mit Reinigung des Körpers und des Hauptes und des Augentheils, auf die bekannte Weise; und besonders mit einem Gurgelmittel aus Essig und Senf.
K.l. ' Diese Krankheit war den Alten wohl bekannt. Cels., VI, 6, 15; Galen, B. XIV, S. 771; Oreibas., V, S. 449; Aet, c. 67 (S. 156); Paul., III, c. 22, § 16 (S. 74); Leo, c. 13 (S. 135); Ioann. Akt., II, c. 7 (S. 445 u. IV, 11); Cael. Aurel., III, 2. Vgl. Gesch. d. Augenheilk. im Alterth., S. 258 u. 378. Paul, spricht von der Krankheit selber gar nicht, nur von der Behandlung.
2 Aet., a. a. 0.: et; aörjcpctyiag xai (pavlrjg diaizrjg aal dlovalag. Bei Ibn Sina steht „grösste Mannigfaltigkeit in den Speisen"; damit muss wohl „Schwelgerei" gemeint sein.
K. 2. l Paul., a. a. 0.: 'Exxa&ÜQnvTotg tiqÖtsqov xovg (p&eiqag dei &aXäa(Ti] n QogxXvl'eLv /Atajja, etia nQogämea&ai tov toiqgov tco vnoyeyQctfi[4ev(i) (paQfiäxq)' (JTV7iTi]Qiag (JXiairjg fiE ß, aiayiöog ä/ygiag fiE a* Xeioig /^»w. Das Mittel des Celsus (Soda, Schwefel- Arsen , Läusekraut, mit ranzigem Oel und Essig) ist wirksamer.
Erstes Kapitel. Zweites Kapitel. Drittes Kapitel. Viertes Kapitel. 101
Auch wendet man Waschung des Auges an und Be- sprengung mit Meer x- und Salz- und Schwefel- Wasser. Der Lid- rand wird bestrichen mit einem Mittel aus Alaun und halb soviel Läusekraut.1 Zuweilen fügt man Aloe und Salpeter, je V2 Theil, hinzu.
Das beste ist das Mittel, welches aus Meerzwiebel-Essig bereitet wird. Aber Läusekraut und Salpeter ist ein gutes Mittel dafür.
Drittes Kapitel.
Ueber Sulaq1 (Lidrand-Entzündung).
Es ist dies eine Verdickung an den Lidern und entsteht aus einer Materie, welche dick ist und schlecht und ätzend und salpetrig, durch welche die Lider rot werden, und die Wimpern ausfallen; es zieht nach sich Verschwärung der Lidränder; darauf folgt Verderbniss des Auges. Meist entsteht <(diese Krankheit) im Verlauf der Augen -Entzündung (des Augen- triefens). Eine Form derselben ist frisch (akut), eine andere veraltet und schlecht.
Viertes Kapitel.
Behandlungen.1
Bei der frischen <Art) nützt es, einen Umschlag zu machen aus Linsen -Abkochung mit Rosen wasser, und einen Umschlag
Kap. 3. x [das ist griechisch anjusima.] Dies dürfte Zusatz eines gelahrten Abschreibers sein, der im Paul. (III, c. 22, § 17 u. 18) nach dem Kapitel über die Läuse, das von der Madarosis gefunden. Ibn Sina aber handelt hier von der Ptilosis. — Wisse, die Griechen nennen ttaöÜQwoig den Wimper-Mangel, nittcofng den Wimper-Mangel mit Lidrand- Verdickung, fxtlcpcoacg den Wimper-Mangel mit Lidrand-Röthung. (Gesch. d. Augenheilk. im Alterth., S. 378.) Weder bei Aet. (c. 80) noch bei Paul. (III, 22, §§ 17 — 19) finden wir einen unsrem Kapitel 3 entsprechenden Text, wohl aber bei I^ann. Akt. (II, 446), der ja allerdings nach Ibn Sina gelebt, aber doch wohl nur aus älteren griechischen Quellen ge- schöpft hat: rj ye {urjv njlXcocrtg, TKtyynqg ovan ßlecpäqtov zvlcodrjg, eveqev&rjg^ anb naxvi8Qü)v xah nleov diey&OQÖicov yvfiojv yLvopevr], tvlois nett ing ßle- (pagldag dtacp&siQSL.
K. 4. x Für dieses Kapitel finden wir in den üblichen griechischen Texten kein Vorbild.
102 Augenheilkunde des Ibn Sina, dritter Abschnitt.
mit Portulak, Endivie, nebst Rosen-Oel und Eiweiss: das ganze wird die Nacht hindurch angewendet; und danach geht man in's Bad.
Oder man nimmt enthülste Linsen und Sumach und das Fleisch von Granat- Aepfeln und Rosen; man macht das ganze ein mit eingekochtem Wein und wendet es an in der Nacht, und badet Morgens. Ununterbrochene Anwendung des Bades gehört (hierbei) zu den nützlichsten Dingen.
In veralteten und chronischen Fällen ist es nothwendig, den Schenkel zu schröpfen und an den Stirn-Venen zur Ader zu lassen und häufiges Baden zu verordnen. Von den- örtlichen Arzneien verwendet man die folgenden: Gebranntes Erz J/2 Drachme, Traganth 3 Drachmen, Safran und Pfeffer je 1 Drachme; man zerreibt